P.M. Magazin 2017-05

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05/2017 4,00 €

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P.M.

NEUGIERIGAUF MORGEN

GEFÄHRLICHE

SONNE Wie der nächste Plasmasturm unser Leben verändern kann

UNVERGESSLICHUNGLAUBLICH

Ewige Speicher für Wie auch das gesamte mit Bildern Wissen der Welt gelogen wird

UNHEIMLICH

Ohne Mannschaft: das Kriegsschiff der Zukunft

Wir bringen Leben in die Geschichte.

Jetzt im Handel

Geschichte, echt spannend. Auch bestellbar unter Tel.+49 (0) 40/55 55 89 80 oder auf shop.pm-magazin.de/PM-History

EDITORIAL

Mehr lügen als tausend Worte Liebe Leserin, lieber Leser,

FOTO:THOMASRUSCH(MONTAGE)

Florian Gless, Chefredakteur

das da links, das bin ich nicht. Jedenfalls nicht wirklich. Wenn Sie P.M.öfter lesen, kennen Sie vielleicht das Foto, das mich zeigt. Es ist im Sommer 2015hier in Hamburg aufgenommen worden, auf einem alten Fabrikgelände unter freiem Himmel und ohne künstliches Licht. Die Kamera war eine Canon-Digitalkamera, der Fotograf war Thomas Rusch, ein echter Profi (und toller Kollege). Das Foto, das wir dieses Mal hier abdrucken, hat mit dem Originalbild nicht allzu viel zu tun. Wir haben es mithilfe »Photoshop« manipuliert, haben die Farbe der Brille verändert, meinen Hautton dunkler gemacht, die Haare etwas ausgedünnt und mir einen energischen Bart verpasst. Hätten Sie diese Manipulation bemerkt? Jede Wette:niemals. Die Bearbeitungsprogramme erlauben heutzutage perfekte Täuschungen. Und so kann man leider einem Foto nicht mehr vollkommen trauen. Essagt immer noch mehr als tausend aber im schlimmsten Fall lügt es auch mehr als tausend Worte. Immer wichtiger werden präzise Informationen zu einem Foto: Wann ist es wo, wie und von wem aufgenommen worden? Daher habe ich es Ihnen oben so genau erzählt. Zum Teilverbergen sich diese Informationen in den digitalen aber eben nur zum Teil. Wie man das

genau herausfindet, erklärt unsere Geschichte über Bildforensik, die auf Seibeginnt. Sehr spannend! In einer Zeit, in der ein US-Präsident Lügen verbreitet, ohne mit der Wimper zu zucken, und in den sozialen Medien Horrorgeschichten wie Tatsachenpräsentiert werden, kommt es umso mehr auf Glaubwürdigkeit an. Seien Sie versichert, dass wir bei P.M.alles tun, um unsere Geschichten so wasserdicht wie möglich zu machen. Und wenn ein Fehler passiert, korrigieren wir ihn im nächsten Heft. Auch manipulierte Bilder versuchen wir so gut es geht auszusortieren. Und nein: Wir manipulieren keine Bilder. »Photoshop« stammt von der Firma Adobe. Die hat nun ein Programm angekündigt, dass jede menschliche Stimme täuschend echt imitieren kann. »Voco« braucht dafür nur 20 Minuten Originalton einer Person und soll demnächst auf den Markt kommen. Dann werden wir sogar dem Radio nicht mehr so einfach vertrauen können. Gruselig, oder? Mit herzlichen Grüßen,

florian gless

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MAI2017

NE K O L UE UMN

E

92 TESTGELÄNDE

Michael Büker erklärt, warum Wissenschaftler seit Jahrzehnten auf Pechtropfen starren.

20

TITELTHEMA .

KEINERUHEVORDEMSTURM Ohne die Sonne gäbe es kein Leben. Aber sie bedroht uns auch: Wenn Sonnenstürme auf die Erde treffen, wankt unsere technische Infrastruktur. Und das Risiko wächst.

Haltbarkeit: 13,8 Milliarden Jahre

68 Autonome Schiffe

58 Was steckt in Tränen?

4

P.M. 05/2017

74

Neue Speicher für die Ewigkeit: die Bibel auf Quarzglas (Foto) und Dateien aus künstlicher DNA

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KARTOGRAFEN DERBOTANIK

Seit Jahrhunderten machen sich Wissenschaftler ein Bild der Botanik. Blüten, Blätter, das Innere der Pflanzen – alles wird und wurde detailliert aufgezeichnet. Früher mit spitzer Feder, heute per Computer. Die Ergebnisse lassen den Betrachter staunen.

34 Wie man Krieg klug beendet

52

62

Viren als Bakterienkiller

Löst Eiszeit-Rätsel: Sergej Zimow

COVERILLUSTRATION: PETERBULL;COVERFOTOS: UNIVERSITY OF SOUTHAMPTON, SHUTTERSTOCK, LEIDOSCONCEPT/DARPA; FOTOS:NASA/SDO,U.S. NAVY,MAURICE MIKKERS/MICROGRAPHSTORIES.COM, UNIVERSITY OF SOUTHAMPTON, ROB KESSELER/PHAIDON, SCIENCEPHOTOLIBRARY, CHRISLINDER;ILLUSTRATION: ANJASTIEHLER/JUTTA FRICKEILLUSTRATORS

INHALT ALPHA

10

DAS BESTEVONHEUTEUNDMORGEN News aus den Laboren der Welt.Der 1-MinuteExperte. P.M.-Zukunftscheck.Illu des Monats. Showroom: Hightech für den Garten

TECHNIK& FORSCHUNG

42

ALTERNATIVE WAHRHEITEN Wie auch mit Fotosgelogen werden kann

52

WENNANTIBIOTIKA NICHTMEHRHELFEN Bakteriophagen: Viren töten Krankheitserreger

58

EMOTIONEN UNTERMMIKROSKOP Tränen – ganz ungerührt betrachtet

68

OHNEKAPITÄNAUFDIEREISE Selbststeuernde Schiffeerobern die Meere. Vorreiter ist das Militär

VISIONEN& IDEEN

34

ALTERFRIEDENFÜRMODERNEN KRIEG Der Historiker Christoph Kampmann über historische Lösungen für den Konflikt in Syrien

62

DAS MAMMUT-PROJEKT FÜRDIETUNDRA Ein russischer Wissenschaftler will den Permafrost in Sibirien bewahren

74

FÜR IMMERABGESPEICHERT So werden Daten unendlich haltbar

GRENZBEREICHE & GEHEIMNISSE

20

EIN STERNMACHTSCHLECHTWETTER Warum Sonnenstürme immer gefährlicher werden

72

DER VERBLÜFFENDE QWERTY-EFFEKT Die Tastatur beeinflusst unser Denken

84

BOTANISCHE WUNDER Die fantastische Geschichte der botanischen Illustrationen

RUBRIKEN 3 6 8 50 80 82 92 94 96 98

Editorial Zitate Leserbriefe Wie jetzt? Sie fragen – wir antworten Schlaumacher – neue Bücher Games – neue Videospiele Testgelände: Kolumne von MichaelBüker Rätsel Vorschau/Impressum P.M.sTierleben: Nasenbär

Alle Coverthemen sind rot markiert

05/2017 P.M.

5

ZITATE »Ich finde alles, was mit Religionzusammenhängt, äußerst interessant. Aber es irritiert mich, dass ansonsten intelligente Leute sie so ernst nehmen. « DouglasAdams(1952–2001), britischerSchriftsteller Eingesandtvon ClausJagureit,über Facebook

Bibliothek noch Licht brennt, kann die Welt nicht verloren sein!« MarkusGasser(*1967),österreichischer Autor Eingesandtvon Iva Studer-Müller,über Facebook

»Wer Menschen führen will,muss hinter ihnen gehen.« Laotse(604v.Chr.–531 v.Chr.), chinesischerPhilosoph Eingesandtvon Milian-Erik Retkowski,Hameln

Schenken heißt, einem anderen das geben, was man selber behalten möchte. SelmaLagerlöf,(1858–1940), schwedische Schriftstellerin

» Der Mensch hat dreierlei » Nichts auf der Welt Wege klug zu handeln: ist so gerecht verteilt erstens durch Nachdenken, wie der Verstand. das ist der edelste, zweitens Denn jedermann ist durch Nachahmen, das ist überzeugt, dass er der leichteste, und drittens genug davon habe. « RenéDescartes(1596–1650) durch Erfahrung,das ist französischerPhilosoph der bitterste.« Eingesandtvon ElfriedePilz, Konfuzius(551v.Chr.–479v.Chr.), chinesischerPhilosoph Eingesandtvon EvelineSchär,Basel

Bad Friedrichshall

Haben Sie ein Lieblingszitat? Schicken Sie es uns! Wenn Sie möchten, senden Sie auch gleich ein nettes Foto von sich mit. Wirfreuen uns über Ihre Einsendungen an [email protected]. Bitte nennen Sie uns auch den Urheber. Unter allen Teilnehmern verlosen wir ein Jahresabo von P.M.Fragen & Antworten. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. In dieser Ausgabe hat Elfriede Pilz gewonnen.

6

P.M. 05/2017

DREISATZ

CHARAKTER Ein Thema in drei Sätzen »Willst du den Charakter eines Menschen erkennen, so gib ihm Macht.« AbrahamLincoln(1809–1865), amerikanischerPolitiker

»Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden.« Johann Wolfgangvon Goethe (1749–1832),deutscherDichter

»Der Charakter offenbart sich nicht an großen Taten; an Kleinigkeiten zeigt sich die Natur des Menschen.« Jean-JacquesRousseau(1712–1778), SchweizerSchriftsteller

FOTO:GETTYIMAGES

»Solange in der

REAKTION So erreichen Sie uns!

P.M. 03/2017 Ernährung

Wenn Sie Fragen zu Ihrem Abonnement haben:

Fasten

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Post: P.M.-Kundenservice 20080 Hamburg Fax: 01805 8618002* E-Mail:[email protected] Jahresabopreise: D: 48,00 €; A: 54,00 €; CH: 84,00 sFr Weitere Abo-Auslandspreise auf Anfrage PM Magazin (German) (USPS no 017423) is published monthly by GRUNER + JAHR AG & CO. Known Office of Publication: German Language Pub., 153 S Dean St, Englewood NJ 07631. Periodicals Postage is paid at Paramus NJ 07652 and additional mailing offices. Postmaster: Send Address changes to: Geo (German), GLP, PO Box 9868, Englewood NJ 07631, 855-457-6397.

Wenn Sie einzelne Ausgaben bestellen möchten: Telefon: +49 (0) 40 5555 8980 Post: P.M.-Versandservice 20080 Hamburg Fax: 01805 8618002* E-Mail: [email protected]

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P.M. 03/2017 Raumfahrt

Interstellares Reisen Erst mal ein großes Lob. Wissenschaftsmagazin. Der Bericht »In 30 Minuten am Mars vorbei« hat mir sehr gut gefallen. Ich bin gespannt, Beschleunigung von Raumschiffen wirklich mal gebaut wird. Sehr interessant fand ich auch den anschließenden Bericht »Weiter Blick aufs Unsichtbare«. Vielen Dank für die immer wieder sehr interessanten Berichte. Peter Köhle, Forggensee P.M. 03/2017 Psychologie

Glauben Sie das Beste Ab 12.4. 2017 im App Store

Das neue P.M. eMagazin

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P.M. 05/2017

In dem Artikel über die Kraft des positiven Denkens ist eine kleine Buddha-Statue abgebildet und als der Relitama betitelt. Das ist leider falsch. Die kleine dicke Figur, die man aus Chinarestau rants kennt, ist der Mönch Budai oder Hotei. Sie soll

Zufriedenheit symbolisieren. Deshalb auch der glückliche Gesichtsausdruck. Wenn dieser Budai im buddhistischen Zusammenhang steht, soll er zukünftige Inkarnationen des Buddha darstellen, jedoch nicht den Religionsstifter Siddhartha Gautama, der ja demzufolge eine vergangene Inkarnation ist.

In dem Artikel steht: »Wie genau der Verzicht hilft, Krankheiten zu lindern, darüber rätselt die Wissenschaft noch.« Vielleicht rätselt ein Teil der Wissenschaft noch. Andere Wissenschaftler haben die Antwort schon gefunden. Wenn der Magen leer ist, wird ein bestimmtes Gen aktiviert, welches Sirtuin produziert. Sirtuin scannt unsere Körperzellen und repariert die kaputten Zellen. Wieger Rekker, per E-Mail

Sirtuin scheint einigen Zell-und Tierstudien zufolge eine Rolle im Fastenstoffwechsel zu spielen. Wie entscheidend dieses Molekül Sonja Denkler, per E-Mail jedoch wirklich bei einem fasten den Menschen ist, lässt sich aus Sie habenrecht. Wir bitten um der derzeitigen Studienlage noch Entschuldigung. Die Redaktion nicht ablesen . Die Redaktion P.M. 03/2017 Zoologie

P.M. 03/2017 Astronomie

Weiche Wunder

Blick aufs Unsichtbare

Dieser anspruchsvolle Arti-

Die Suche nach außerirdischem Leben lässt der Menschheit einfach keine Ruhe. Vielleicht gibt es aber auch eine ganz einfache Erklärung: Möglicherweise sind wir ja die am weites-

Aufnahmen, die man als Außenstehender nie selbst sehen kann, zeigt, wie wichtig es ist, die Mutter Erde

diese Schönheiten zu erhalten. Ich glaube, hier kann jeder auf seine Art und Weise einen Beitrag leisten. Siegfried Tietz, Altenberg

im ganzen All. Irgendeine Lebensform muss ja die warum nicht wir? Hans Heinrich Doebeli, Oberweningen (CH)

Schreiben Sie uns Ihre Meinung! Per E-Mail an: [email protected] facebook.com/PMOnline plus.google.com/+pmmagazin

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FOTOS:KAMIOKAOBSERVATORY/ICRR/THE UNIVERSITY OF TOKYO,SCIENCEPHOTOLIBRARY

ALPHA

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P.M. 05/2017

Runde Sachen TECHNIKEine Schlauchbootfahrt in ter Tiefe unternehmen zwei Techniker im Neutrinodetektor Super-Kamiokande, etwa westlich von Tokio.In ein ehemaliges Bergwerkwurde ein 41 Meter hoher Zylinder mit 39 Meter Durchmesser eingebaut. Der innere Tank (links) ist malerweise bis oben hin mit 32000 Tonnen hochreinen Wassersgefüllt. Die silbernen Kugeln sind Photomultiplier, 11200 sind hier eingebaut. Sie registrieren Mini Lichtblitze, die entstehen, wenn Neutrinos an molekülen vorbeifliegen. WeilNeutrinos – spielten eine wichtige der Entwicklung des Universums – extrem leicht und elektrisch neutral sind, lässt sich ihre Existenz nur über solche Um wege nachweisen. Kleines Bild: Signalspuren aus dem Detektor.

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ALPHA

DAS OZONLOCH WIRDKLEINER

› RICHTIGIn den 80er- und 90er-Jah-

Backe, backe Kuchen: Was tun, wenn bei den Zutaten das Backpulver fehlt?

Omas Labor

Warum ihre Tricks funktionieren FOLGE20: KUCHENBACKEN

Eier und Schmalz, Zucker und Salz, Milch und Mehl …Sie haben alle Zutaten parat. Nur das Backpulver fehlt im Küchenschrank.

ren war es das große Umweltthema: das Ozonloch über dem Südpol, verursacht durch FCKW(Fluorchlorkohlenwasserstoffe) – eine Gruppe chemischer Verbindungen, die als Treibgasin Sprühflaschen und als Kältemittel in Kühlschränken eingesetzt wurden. 1990beschloss eine internationale Konferenz in London, diese Stoffe weitgehend zu verbieten. Mit Erfolg, heute zeigt: Die Ozonschicht, die dafür sorgt, dass die gefährliche UV-Strahlungder Sonne nicht ungehindert auf die Erde dringt, erholt sich. Noch ist das Ausmaß des Ozonlochs größer als zum Zeitpunkt seiner Entdeckung, aber in den letzten zehn Jahren ist es von 27 auf 23 Millionen Quadratkilometer geschrumpft.

OMA SAGT:

Einfach einen Schuss Rum in den Kuchenteig geben. DIE WISSENSCHAFT DAHINTER:

Nein, Oma hat kein Alkoholproblem – auch wenn es in dieser Kolumne bereits um Bier, Wein und Bowleging. Der Trinkalkohol (genauer: Ethanol) im Rum hat denselben Effektwie Backpulver: Beide bilden Gasbläschen, die den Kuchen aufgehen lassen. Backpulver reagiert mit der Feuchtigkeit im Teigund setzt dabei Kohlendioxid frei. Ethanol verdampft, und zwar bei 78 °C, weil der Zusammenhalt der Moleküle geringer ist als bei Wasser. So kann sich der Alkoholausdehnen und Gasblasen bilden, während der Teignoch feucht und formbar ist.

BRAUNERZUCKERIST GESÜNDER

› FALSCH »Ich habe zum Backenbraunen Zucker genommen!« Dann muss der Kuchen ja gesund sein, denkt sich mancher nach dieser Botschaft. Doch Ernährungsexperten sagen: Brauner Zucker ist

GLÜCKLICHE KÜHE GEBENMEHRMILCH RICHTIGDer Milch-



bauer Florian Hellweg im Sauerland spendierte seinen Kühen einen geräumigen Wohlfühlstall,in dem sie nach Belieben rein- und rausgehen und sich sogar an einer großen Bürste schubbern können. Seitdem gibt jede Kuh durchschnittlich 9500 Liter Milch im Jahr; 2000 Liter mehr als vorher. Forscher der britischen Newcastle Universityhatten schon früher 516Milchbauern befragt und herausgefunden: Wermit seinen Tieren vertraut war und ihnen Namen gab, erzielte höhere Milcherträge als Bauern mit »anonymen« Kühen.

Muss ich die kennen? MASAKOTOMINAGA, GEOPHYSIKERIN WER IST DAS?

Die Japanerin kam 2002 als 22-Jährige in die USAund arbeitet heute als Professorin an der TexasA&MUniversity.

ben vom Meeresboden des Pazifiks,die ein Unterwasser-Roboter an die Oberfläche gebracht hat. Das Gestein enthält magnetische Mineralien, deren Analyse aufschlussreich ist. INWIEFERN?

WAS MACHTSIE?

Sie untersucht Gesteinspro-

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nicht besser als weißer. Weder für die Zähne noch für die schlanke Linie – die Zahl der Kalorien ist identisch. Nur Farbe und Geschmack sind nicht gleich: Da der braune Zucker bei der Herstellung weniger Stufen durchläuft, enthält er Reste von braunem Sirup. Sie verleihen ihm ein leicht malziges Aroma und etwas Feuchtigkeit. Weshalber sich nicht so lange lagern lässt wie weißer Zucker.

Schon seit vielen Jahren ist der magnetische

FOTOS:SHUTTERSTOCK, NASA,COLLEGEOF GEOSCIENCES/TEXAS A&MUNIVERSITY, MENTZUNDSUKHINA/RRZ MCC/UHH(3)

Richtig oder falsch?

Ein Museums mitarbeiter bereitet die DNA-Analyse von Stoßzahn zellen vor.

MEINLIEBLINGSSTÜCK

Der Narwal-Schädel

Matthias Glau brecht, senschaftlicher Direktor des Hamburger Centrums für Naturkunde

NATURKUNDE»Alsich vor vier Jahren be gann, mich um den Wiederaufbau eines natur historischen Museums für die Universität Hamburg zu kümmern, fand ich in einer ande ren Sammlung der Uni ein besonderes Stück: den Schädel eines Narwals, an dem sich zwei lange Stoßzähne befinden. Ich war erstaunt, dass das Exponat so stiefmütterlich behandelt worden war – ein weltweit einmaliges plar, nach dem sich jedes Museum die Finger lecken müsste. Deshalb zeigen wir es nun ganz prominent im Eingangsbereich unseres neuen Centrums für Naturkunde.

Wasden Fund so besonders macht: Männliche Narwale besitzen sonst nur einen Stoßzahn und weibliche gar keinen – doch hier haben wir zwei Zähne eines Weibchens.Das weiß man, weil sich im Körper ein Embryo befand. Der Schädel war 1684vom Kapitän eines Walfängersaus arktischen Gewässern nach Deutschland ge bracht worden. Den ZweitenWeltkriegüber stand er nur, weil ein beherzter Präparator ihn in einem Keller einmauerte. Da unser Narwal Schädel, auf den wir sehr stolz sind, weiblich, alt und einmalig ist, haben wir ihm einen pas senden Namen gegeben: Mona Lisa.«

ELEMENTDES MONATS

Nordpol auf Wanderschaft – eines Tageswird er mit dem magnetischen Südpol den Platz getauscht haben, wie schon öfter in den vergange nen 20 Millionen Jahren. des nächsten Polsprungs ist ungewiss. Jährige versucht mit ihrem Team, anhand der magnetischen Spuren der Vergangenheit eine Prognose zu treffen.

WIE GEHTES WEITER?

Vor 2000 Jahren war das Erdmagnetfeld stärker als heute, seitdem nimmt es das Indiz für einen neuen Polsprung, der telliten, Computer und E Werke stören könnte. Masako Tominaga weiß wann es so weit sein wird, aber sie schätzt, dass bis dahin »noch einige Tausend Jahre« vergehen.

Br Brom Entdeckt: 1826 Ordnungszahl: 35 Atommasse: 80 u Bei 20 °C:flüssig Radioaktiv: nein Ist ein: Halogen Farbe: rot braun Toxisch: ja

Kaliumbromid war das erste bekannte Anti epileptikum. Vom 19. Jahrhundert an wurde es bei Krampfanfäl len verabreicht. Leider ver giftete das Brom die Patien ten schleichend: Symptome waren Schwindel, Abszesse oder Halluzinationen. 05/2017 P.M.

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ALPHA

Zurück in der Zukunft P.M. berichtet seit 38 Jahren über kommende Entwick lungen. Was ist daraus geworden? Sind die nosen eingetroffen, oder gingen sie auch mal neben? Wir werfen einen Blick zurück, diesmal auf einen Bericht aus dem März 1987.

1987: Wolkenkratzer BAUTECHNIKVor30 Jahren standen die höchsten Hoch häuser der Weltin den USA.Den Rekord hielt der 442 Me ter hohe Sears Towerin Chicago. »Schier unstillbar sind das Verlangenund die Sucht, immer höher hinaus zu wollen«, schrieb P.M.im März 1987und erwähnte einen gewissen Donald J. Trump. »Der 40 Jahre alte starter der Branche, der sich mit dem nach ihm benannten Trump Towerin der Fifth Avenuebereits ein Denkmal ge setzt hat und den Bauboom der Giganten neu entfachte, hat noch weitere zwei Riesen in der Planungsschublade.« 477 und 582 Meter hoch sollten in NewYorkzwei neue Trump Wolkenkratzer in den Himmel ragen. »Ob diese Giganten allerdings je gebaut werden, ist nicht sicher«, so P.M., »bisher scheiterten sie am Protest der Bürger und fehlenden Genehmigungen.« Hinzu kamen offene Fragen:

Mit welchen Aufzügensollte man Tausende Menschen in solchen Riesengebäuden hinauf und hinabbefördern? Wohin mit dem Müll, woher mit genügend Wasser?»Und die Sicherheitssysteme!«, stöhnte P.M.,»Probleme über Probleme türmen sich auf.« Doch was die Baustruktur be treffe, so seien die Hochhäuser technisch durchaus mach bar – dank hartem, aber flexiblem Stahl sowie Computer simulationen und Testsvon Modellen im Windkanal. Wenn Donald Trump, inzwischen US Präsident, heute davon spricht, Amerika »wieder groß« zu machen, denkt man dabei nicht zuerst an Wolkenkratzer.Vonden 50 welt weit Größten stehen derzeit 19in China, 14in den Verei nigten Arabischen Emiraten und nur acht in den USA.Der Rekordhalter in Dubai misst 828 Meter – 246 Meter mehr als Trumps Bauten, die nie verwirklicht wurden.

ASTROPHYSIKWurde die Erde einst von mehreren Monden umkreist? Das glauben israelische Geowissenschaftler. Nach der gängigen Geschichte von der Entstehung des einzigen Erdtrabanten soll vor mehr als vier Milliarden Jahren ein Himmelskörper in die Erde einge schlagen sein; aus der aufgewirbelten Materie bildete sich der Mond. Aber nach den Computersimulationen von

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Raluca Rufu und ihren Kollegenvom Weizmann Institut für Wissenschaften in Rehovotmuss es anders gewesen sein: Zunächst gab es eine Folgekleinerer Ein schläge, aus denen mehrere Minimonde entstanden. Sie ballten sich später zu unserem heutigen Mond zusammen. Mehrere Monde am Himmel – ein fan tastischer Anblick,auch wenn niemand da war, der ihn bewundern konnte.

FOTOS:SHUTERSTOCK, EASECYCLE(2)

Ein Mond? Nein: viele!

Mit den Lieben lieber links GEHIRNFORSCHUNG Mütter tragen ihre Kinder bevorzugt auf der linken Seite, und auch umgekehrt nähern sich Kinder ihren Müttern und anderen Erwachsenen mit Vorliebean deren linker Seite. Dieses erstaunliche Phänomen haben Verhaltensforscher jüngst bei Menschen und anderen Säugetieren beobachtet. Noch erstaunlicher ist die Erklärung, die sie dafür geben: Säugetiere haben zwei Gehirnhälften mit ungleicher Aufgaben-

verteilung. Die rechte Gehirnhälfte ist maßgeblich für sozialesVerhalten, für Gefühle, Empathie und menschliche Bindungen. Dieser rechte Teildes Gehirns kontrolliert die linke Körperhälfte samt deren Sinnesorganen. Unsere linke Seite ist also die »liebevollere«,vermuten die Forscher. Kinder und Eltern könnten deshalb von der Natur darauf programmiert sein, eher den Kontakt auf dieser Seite zu suchen.

Experte in einer Minute FOLGE20: CXCR4 IST DAS EINNEUESAUTO,EIN PS-STARKERALLRAD-SUV?

Nein, ein Rezeptor, eine bestimmte Stelle der Zelloberfläche, die von außen Reize aufnimmt und ins Innere der Zelle weitergibt. Solche Signale sind zum Beispiel Licht, Zucker oder Hormone. DANNIST ES JA GUT,DASS ES CXCR4GIBT.

Es spielt eine wichtige Rolle in unserem Körper. Etwa bei der Wundheilung, bei der Ausbildung von Organen, aber leider auch bei der Entstehung von Entzün dungen und Tumoren. Auch Aids-Viren können an dem Rezeptor andocken. ALSO DOCHNICHTSO GUT?

Wissenschaftler, unter anderem an der Uni Erlangen-Nürnberg, unter suchen zurzeit den genauen Mechanismus des Rezeptors. Mit dem Ziel, Medikamente zu entwickeln, die seine schlechte Seite unterdrücken.

Endlich:Eine Rolle für vorwärts MOBILITÄTE-Bikessind schwer, und man braucht beim Radeln ja auch nicht permanent einen zusätzlichen Antrieb. Eine Alternative wäre ein transportabler Motor, den man bei Bedarf aus dem Rucksackholen und ans Rad klemmen kann – ohne Werkzeug.So ein Ding wurde jetzt entwickelt: Der in wenigen Sekunden befestigte und 3,5 Kilogramm schwere »ease« presst eine Reiberolle an

den Hinterreifen und überträgt auf ihn die zum Antrieb nötigen Umdrehungen. Die Rolleist aus Aluminium, sie soll an jeden Reifen passen, ein Durchrutschen verhindern und sich nicht abnutzen. Die 22-Volt-Batterie(10Ah, 250 Watt)lässt sich in drei Stunden aufladen. Bisher existiert nur ein Prototyp, der Verkaufspreis des tragbaren Elektromotors soll zwischen 500 und 900 Euro liegen.

UND? HABENSIE SCHON ETWASRAUSGEFUNDEN?

Ja. Offenbar arbeiten die Rezeptoren am besten, wenn sie dies paarweise tun. Um Paare (Dimere) bilden zu können, brauchen die Rezeptoren eine Art Klebstoff. Und diese Aufgabe übernimmt ein sattsam bekannter Naturstoff: Cholesterin.

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AUFRÄUMER IROBOTLOOJ330

Mit bis zu 500 Umdrehungen pro Minute werfen die Schaufeln dieses Roboters Schmutz aus der Regenrinne. Eine Akkuladung reicht für eineinhalb Stunden Betrieb. 299 Euro

AUFPASSER EDYN-BODENSENSOR

Ganz ohne grünen Daumen stellt dieser Fühler fest, was Sache ist. Er meldet Boden und Luftfeuchtigkeit sowie Temperatur, Helligkeit und Nährstoffsättigung der Erde ans Smartphone. Gespeist wird er mit Solarstrom. 99 US-Dollar (»Garden Sensor«, + Versand/Zoll)

DER SOMMER kann kommen! Aber nur wenn wir im Garten für Ordnung sorgen. Mitdiesen praktischen Werkzeugen ist das überhaupt kein Problem mehr

ANGREIFER GARDENGROOMPRO

Diese Heckenschere schnei det, häckselt, mulcht und fängt das Schnittgut im angeschlossenen Beutel auf. Gedacht ist sie für kleinblättrige Sträucher wie etwa Thuja oder Liguster. 180 Euro

FOTOS:SHUTTERSTOCK (1),PR (7)

NASSMACHER CONTECHSCARECROW STARTHELFER AIR-POT-AUFZUCHTHILFE

Aus wiederverwertetem Kunststoff bestehen diese Pflanzenbehälter. Sie versprechen das Wachstum besonders kräftiger Wurzeln – ideale Startbedingung für neues Grünzeug. ab 14,99 Pfund (Fünferpack, in diversen Größen erhältlich)

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Ungebetene tierische Besucher vertreibt dieser mit einem sensor ausgestattete Rasensprenger. Registriert die nasse Kanone Ein dringlinge, spritzt sie bis zu zehn Meter weit. 70 Euro

AUSGEWÄHLT VONKARL-GERHARDHAAS

DIREKT NACH US-START

20:15

EXKLUSIV: DIE NEUEN FOLGEN

SA MSTAGS AB 8.4. WWW.RTL2.DE/PRISONBREAK

ALPHA

Gummireifen

Elektrospule

Felge

magnete

Kugellager

Kugeln

Stator (fest stehendes Gehäuseteil mit Gehäuseabdeckung

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Gehäuse abdeckung

magnete)

Wasserdichtes Kugellager

3-D-ILLUSTRATION: MAXKULICH

Akku

DURCHBLICK

Das Monowheel Kontrollsteuerungen mit Lagesensoren

Verkleidung

Akku

Beinstütze FORTBEWEGUNG Hat man den Dreh erst einmal heraus, fährt es sich auf dem elektrischen Einradvielsicherer als auf seinem pedalbetriebenen Pendant. In Deutschland ist das Rollenauf dem Monowheel im öffentlichen Raum allerdings verboten, denn juristisch gesehen zählt es zu den Kraftfahrzeugen (es fährt serienmäßig 20 km/h in der Spitze), als solches ist es aber mangels Beleuchtung, Spiegel, Sitz und Bremsen gar nicht zulassungsfähig. In der Schweiz hingegen wirdes wie ein Mofa behandelt, während es in Österreich einem Skateboard gleichgestellt ist und darum nicht auf offizielleRadwege oder Fahrbahnen darf. Herzstück des Monowheels sind die Lagesensoren in der Hauptplatine. Sie analysieren 100-mal pro Sekunde das Gelände und die Körperpositiondes Fahrers. Der Elektromotor steuert entsprechend gegen und hält ihn durch Beschleunigen und Bremsen im Gleichgewicht. Seine Energie bezieht der Motor aus Akkus, die hinter den Beinstützen in der Verkleidunguntergebracht sind. Ein Band von Permanentmagneten umgibt eine Elektrospule. Sie wirdvon Strom durchflossen und erzeugt in Wechselwirkung mit dem Magnetfeld jene Bewegung, die auf das Antriebsrad übertragen wird.Gelenkt wirddas Monowheel mit Hüft- und Beinbewegungen – ähnlich denen beim Skifahren.

Fußplattform Monowheels dürfen bei uns nur auf Privatgelände benutzt werden, etwa im Bürohaus.

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GRENZBEREICHE •ASTRONOMIE Diese Aufnahme von 1929 konzentriert sich auf die Protuberanzen, heiße Gasmassen, die bei Sonnenstürmen ausschießen …

Zum FÜRCHTEN Die Sonne gibt uns Licht und Wärme. Aber ihre enorme Energie ist auch ein Risiko:Sonnenstürme können unsere moderne Infrastruktur lahmlegen. Sind wir darauf vorbereitet? TEXT:ALEXANDER STIRN

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FOTOS:MAURITIUS IMAGES,NASA/SDO

…und die man 2012, beim letzten großen Sturm, per sonde aus der Nähe beobachten konnte.

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E

s ist ein Streifschuss und ein Warnschuss zugleich: Am 23. Juli 2012,einem wolken losen Sommertag in weiten TeilenDeutsch lands, schleudert die Sonne ohne Vorwar nung Milliarden geladener Teilchen ins All.Der gefährliche Schauer –Astronomen sprechen von einem Sonnensturm – brei tet sich mit mehreren Millionen Kilome tern pro Stunde im Weltraum aus, voll kommen ungehindert. Seine Ausläufer streifen die Erde, der größte Teiljedoch verpasst unseren Plane ten. Der hat sich, auf seinem Wegum die Sonne, be reits in Sicherheit gebracht. »Wäredas Ganze ein paar Tagefrüher passiert«, sagt Daniel Baker, Sonnenphysiker an der sität von Colorado in den USA,»würden wir heute noch die Scherben zusammenkehren.« Dann würde sich die Erde ganz langsam von einer Katastrophe erholen, die es mit jedem Erdbeben oder Wirbel sturm aufnehmen könnte. Sonnenstürme? Lange Zeit galten sie als abs trakte Bedrohung. Klar, Wissenschaftler wussten um mögliche Folgen:zerstörte Satelliten, Probleme mit Funkgeräten oder Navigationssystemen und nicht zuletzt Stromausfälle, die tage oder sogar mo natelang anhalten können. Klar, auch Politiker hat ten schon von möglichen Risikengehört, ihnen aber keine besondere Bedeutung zugemessen. Mit Son nenstürmen kann man keine Wahlen gewinnen.

DER ORKANRÜCKTNÄHER Eine norwegische Physikerin betrachtet die neuesten Bilder von Sonnenaktivitäten.

Am 23. Juli 2012hat sich das geändert. DieErde wur de von dem gewaltigen Sturm wachgerüttelt: Kein anderes Phänomen des Weltraumwetters ist zuvor besser von Raumsonden beobachtet worden, kein anderes hat mehr Aufmerksamkeit erregt. Astrono men haben seitdem ihre Forschungsbemühungen verstärkt. Raumfahrtagenturen und Politiker seits und jenseits des Atlantikssind aktiv geworden. Im US Kongress wird sogar über ein Gesetz zur Er forschung und Vorhersagedes Weltraumwetters de battiert. Dochmit einem Gesetzallein lassen sich die Wogender Sonne nicht stoppen. Eines Tages,da sind

WAS BISHERGESCHAH Lange Zeit blieben Sonnenstürme eine abstrakte Bedrohung. Je technisierter unsere Infrastruktur wird, desto größer werden die Schäden.

sich Wissenschaftler sicher, werden die Stürme nicht mehr an der Erde vorbeirauschen. Sie werden den Planeten frontal treffen. »Zehn Prozent.« Sonnenforscher Pete Riley hat nur eine einzige Zahl auf seine Folien geschrieben, die er im Frühjahr 2016 beim Jahrestreffen des US Wissenschaftsverbands AAASin Washington präsentiert. Zehn Prozent, so hoch ist RileysBerech nungen zufolge die Wahrscheinlichkeit, dass die Erde in den kommenden zehn Jahren frontal von ei nem massiven Sonnensturm erwischt wird. »Alsich die Zahlzum ersten Malgesehen habe, war ich selbst überrascht, aber die Statistik scheint zu stimmen«, sagt Riley, wissenschaftlicher Leiter beim For schungsunternehmen Predictive Science im kali fornischen San Diego. »Es ist eine ernüchternde Zahl.« Ausgangspunktfür RileysBerechnungen war ein Sonnensturm aus dem Jahr 1859, »Carrington Event« genannt. Wasdas große Beben von San Fran ciscofür Erdbebenforscher ist, das ist das Carrington Event für die Erforscher der Sonnenstürme: eine Warnung – und die Latte, an der sich alle folgenden Ereignisse messen müssen. Am 1. September 1859, einem herrlichen Don nerstagmorgen, beobachtete der britische Astro nom Richard Carrington zufällig zwei weiße Blitze, die am Rand einer großen Gruppe von Sonnenfle cken aufleuchteten. Einen Tagspäter brach auf der Erde das Chaos los.

Telegrafensystem bricht zusammen, Operatoren bekommen Stromschläge, Polarlichter über Kuba und Hawaii .

Börse in Chicago schließt für einen Tag, Telegrafensystem stockt, Glocken der Straßenbahnen klingen unaufhörlich.

Western Union kann kein Geld mehr anwei sen, Telegrafensystem gestört, in der Schweiz stehen die Trambahnen.

JAHRE

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1859

1882

1903

GRENZBEREICHE •ASTRONOMIE

Etwa 150 Kilometer von der Erde entfernt stoßen Elektronen des Son nenwindes auf Moleküle der atmosphäre. Die Moleküle werden energetisch geladen und so zum Leuchten angeregt. Das Resultat: Polarlichter – hier über Alaska

Hocherhitzter Riesenball ENERGIEBÜNDEL Die Sonne ist 4,6 MilliardenJahre alt und wiegt so vielwie 330 000 Erden. In ihrem Inneren: Kernfusion – aus Wasserstoffatomkernen entsteht ein Heliumkern.Dabei geht Masse verloren, die in Lichtund Wärme umgewandelt wird.In nur einer Sekunde werden so fünf MillionenTonnen Materie zu Energie.

FOTOS:SCIENCEPHOTOLIBRARY, GETTYIMAGES;ILLUSTRATION: PETERBULL

Korona Chromosphäre (äußere Schicht, 4000 bis 10 000 °Cheiß)

Die Sonne hatte, wie Astronomen heute wissen, einen ihrer typischen Schluckauf-Anfälle:Dabei ordnen sich die magnetischen Strukturen an der Oberfläche des 5500 °C heißen Feuerballs spontan neu an. Große Mengen energiereicher Strahlung werden freigesetzt, sie erreichen die Erde bereits acht Minuten später. Einige Stunden danach treffen Elektronen und Protonen ein, die mit rasender Geschwindigkeit durchs Allrauschen.

Sonnenkern (15 Millionen °C heiß)

POLARLICHTER ÜBERHAWAII Der Höhepunkt des Sturms steht aber noch immer aus. Erst ein oder zwei Tagenach den hellen Blitzen erreichen große Mengen geladener und magnetischer Teilchen die Erde – Bruchteile der Milliarden Tonnen an Materie, die die Sonne bei ihren Auswürfen ins All schleudert. Die Teilchen quetschen und schütteln das irdische Magnetfeld, Polarlichter entstehen. In langen Kabeln und Pipelines erzeugen sie zudem elektrische Ströme, die zuvor nicht zu messen waren – ein Prinzip, das Physiker Induktion nennen. Im Fall des Carrington-Sturms berichten zeitgenössische Quellen von Polarlichtern, die sogar auf Kuba, Jamaika und Hawaii zu sehen waren. Vielerorts seien die leuchtenden Himmelserscheinungen so hell gewesen, dass Menschen bei Nacht Zeitung lesen konnten. Zudem brach das TelegrafensysInternet des 19. Jahrhunderts, teilweise

Telegrafensystem welt weit eingeschränkt, Radiowellen deutlich ver stärkt, Polarlichter über dem Osten der USA.

1921

Sechs Millionen Menschen in Kanada sind neun Stunden ohne Strom, die kanadische Börse muss schließen.

1989

Sonnenflecken

Fotosphäre (6000 °Cheiß)

Umgeleitete Flugzeuge über dem Nordpol , Strom ausfall in Südafrika , ISSAstronauten suchen Schutz in ihren Raumanzügen.

2003

Konvektionszone (innerste Schicht, drei Millionen °Cheiß)

Das GPS-Navigations system fällt weltweit für zehn Minuten aus, kein Flugzeug kann landen, kein Schiff andocken.

2005

Der größte Sonnensturm seit 1859 verfehlt die Erde knapp, einige Flugzeuge müssen umgelei tet werden.

2012

3. koronale

MaSSenau Swürfe

Große Teile der Korona, der äußeren Atmosphäre der Sonne, werden bei diesen Eruptionen ins All befördert. Milliarden Tonnen extrem heißen Gases fliegen dann Richtung Erde. Diese Plasmawolken haben ihr eigenes Magnetfeld, es interagiert mit dem der Erde – und erzeugt so geomagnetische Stürme. Das schnellste Plasma kann die Erde in weniger als einem Tag erreichen.

4. Sonnenwind Ein konstanter Strom aus Elektronen und Protonen rüttelt am Magnetfeld der Erde. Der zugrunde liegende Sonnenwind hat eine Geschwindigkeit von etwa 1,5 Millionen Kilometern pro Stunde.

1. Magnetfeld Starke und immer wieder wechselnde Magnetfelder bestimmen das Leben des zentralen Himmelskörpers. Sie liegen meistens unter Sonnenflecken. Diese Magnetfelder liefern die Energie für das Weltraumwetter, ihre ständigen Rekonnexionen (Neuorganisationen) führen zu Sonnenstürmen.

2. Sonnenflecken Sonnenflecken sind relativ kühle Punkte auf der Oberfläche. Sie zeigen an, dass ein magnetisches Feld die Oberfläche der Sonne durchbrechen wird. Große Gruppen von Sonnenflecken kündigen unruhiges Weltraumwetter an.

ILLUSTRATION: NOAA

5. Sonneneruptionen Wenn es auf der Sonnenoberfläche zu Neuorganisationen von Magnetfeldern kommt, werden ungeheure Energiemengen frei. Die elektromagnetischen Emissionen umfassen das komplette Strahlenspektrum – von Gammastrahlen bis zur Radiowelle. Diese Emissionen bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit und erreichen die Erde in acht Minuten.

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GRENZBEREICHE •ASTRONOMIE

WELTRAUMWETTER Die Bedingungen im Allwerden von der Sonne diktiert, ihre Veränderungen haben direkten Einfluss auf das Weltraumwetter. Es gibt auch saisonale Unterschiede: Die Sonnenaktivität erreicht ihren Höhepunkt ungefähr alle elf Jahre 7. Sonnen Stürme Während eines Sonnensturms werden elektrisch geladene Teilchen, vor allem Elektronen und Protonen, nach Eruptionen auf der Sonne ins All geschleudert. Während diese extrem beschleunigten Teilchen durchs All kreiseln, folgen sie den Magnetfeldlinien der Sonne, um schließlich die Erde aus allen Richtungen zu bombardieren. Magnetfeldlinien Sonnensturm Erdumlaufbahn

Sonne

e rde e rde

8. GeomaGneti Sche Stürme Ein geomagnetischer Sturm ist eine zeitweise Störung des Magnetfelds der Erde, üblicherweise hervorgerufen durch verstärkten Sonnenwind oder Sonneneruptionen. Diese Einflüsse dehnen das Magnetfeld der Erde auf der Nachtseite und zwingen es, Energie in Form von Neuorganisationen freizugeben. Magnetische Neuverbindung

Erdmagnetfeld wird auf der Nachtseite gedehnt.

Plasmawolke

6. e rdma Gnetfeld Das Magnetfeld der Erde ähnelt dem eines Stabmagneten, es schützt die Erde vor den Einflüssen der Sonne. Es wird vom Sonnenwind auf der Tagseite konstant zusammengepresst und auf der Nachtseite gedehnt. Während eines geomagnetischen Sturms können diese Störungen des Magnetfelds extrem werden.

e rde

Erdmagnetfeld wird auf der Tagseite zusammengepresst.

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GRENZBEREICHE •ASTRONOMIE

zusammen. Esschlug Funken, Operatoren bekamen Stromschläge, Papier fing Feuer. »Würde ein vergleichbarer Sturm heutzutage auf die Erde treffen, wäre das verheerend«, sagt Daniel Baker. William Murtagh, Sonnensturm-Beauftragter beim Büro für Technikund Wissenschaftder US-Regierung, hat ähnliche Befürchtungen. »Das Weltraumwetter kann genau jene Technikmassiv stören, die das Rückgratfür den wirtschaftlichen Erfolgund die nationale Sicherheit eines Landes bildet«, sagt der Meteorologeaus Washington. Die Strahlung, die zuerst eintrifft, stört zum Beispiel den Funkverkehr und verfälscht die Signale der globalen Navigationssysteme.Ohne eine funktionierende Funkverbindung dürfen Fluggesellschaften aber nicht über die Pole fliegen, da dort keine alternative Verbindung mittels Satellitenkommunikation möglich ist. Im November 2015 setzte ein Sonnensturm die Radaranlagen der schwedischen Flugsicherung außer Gefecht: Der Luftraum musste mehr als eine Stunde lang gesperrt werden. Das GPS-Problembetrifft zudem nicht nur Autofahrer auf der Suche nach ihrem Hotel am Urlaubsort: Ohne Satellitennavigation funktioniert heute fast nichts mehr – angefangen von Flugzeugen, die mit GPS-Hilfeautomatisch landen, bis hin zu Landwirten, die damit ihre Äcker bestellen. »GPS ist heut zutage das System, auf das wir als Gesellschaft am meisten angewiesen sind«, sagt Baker. Die schnellen Protonen und Elektronen, die als Nächstes eintreffen, bedrohen Astronauten an Bord der Internationalen Raumstation ISS;Übelkeit, Erschöpfung und Abbau von Blutzellen sind die Folge. Solche Partikel können zudem die Elektronik von Satelliten zerstören, die Leistung von Solarzellen beeinträchtigen und Computer auf der Erde zum Absturz bringen.

»Wir können maximal 30 Minuten vor einem Einschlag warnen. « Daniel Baker, Sonnenphysiker

Diegeladenen Teilchenund die vonihnen verursachten Störungen des Erdmagnetfelds machen schließlich den Stromnetzen zu schaffen. Hunderte von Transformatoren können überlastet und dabei zerstört werden – ein Szenario, das den SonnenwetterExperten die größten Sorgen bereitet: »Diedefekten Transformatoren müssten Stück für Stück ersetzt werden, das würde sich über Monate, wenn nicht sogar Jahre hinziehen«, sagt Baker. Das Problem: Die Geräte, jedes so groß wie ein Einfamilienhaus, gibt es nicht im Baumarkt. Auch hat niemand eine derart große Menge an Transformatoren auf Lager. Sie müssen vielmehr nach und nach gebaut werden. Bis es so weit ist, bleibt der Strom weg. »Wir hätten keine Schwierigkeiten, ein paar Stunden oder Tage,vielleicht auch eine Woche ohne Strom auszukommen«, sagt WilliamMurtagh. »Aber ein monatelanger Ausfall in weiten Teilen Nordamerikas wäre etwas völliganderes.«

BILLIONENDOLLARSCHÄDEN

Vier Teleskope an Bord der NASA-Raumsonde »Solar Dynamics Observatory« können Sonnenstürme in verschiedenen Wellenlängen erfassen (rechts).

Was solch ein Sturm allein für die USAbedeuten könnte, hat der Versicherer Lloyd’s2013berechnet. 20 bis 40 Millionen Menschen wären demnach von Stromausfällen betroffen. Besonders hart würde das Chaos die Region zwischen New Yorkund Washington treffen, in der viele Leitungen von Nord nach Süd verlaufen – und damit in der gleichen Richtung wie das Magnetfeld der Sonnenstürme. Dadurch werden besonders starke, zerstörerische Ströme induziert. Zwischen16 Tagen und zwei Jahren könnten die Ausfälleandauern, bei einem wirtschaftlichen Schaden von bis zu 2,6 Billionen Dollar. Zum Vergleich:Die Schäden von Hurrikan Katrina, der 2005 New Orleans verwüstet hat, beziffern Experten auf 80 bis 120Milliarden Dollar. Der Streifschuss vom Juli 2012kam indes nicht völlig unerwartet. Immer wieder hatte es zuvor

1973 2002

FOTOS:NASA/SDO(3), ULLSTEINBILD,INTERFOTO, REUTERS

Die Aktivitäten der Sonne haben Wissen schaftler immer ziniert: Deutsche For scher zeichneten sie im 19. Jahrhundert nach Aufzeichnungen eines Astronomen aus dem 17.Jahrhundert. Daneben bilder der vergange nen Jahrzehnte

Sonnenstürme und Gesundheit Immer wieder berichten Menschen nach Sonnenstürmen von Kopfschmerzen und Müdigkeit.Keine dieser Auswirkungen wurde bislang wissenschaftlich belegt. Astronauten sind während Sonnenstürmen der deutlich erhöhten Strahlung schutzlos ausge setzt – und steigen dann auch in den Raumstationen in ihre Raumanzüge.

Warnungen gegeben. Bereits 1989 verursachte ein Sonnensturm zum Beispiel Stromspitzen in einer Hochspannungsleitung im kanadischen Quebec. Das Sicherheitssystem griff ein. Sechs Millionen Menschen – und mit ihnen die gesamte Provinz – waren neun Stunden lang ohne Strom. Fünf Monate später brachten geladene Sonnenteilchen drei Fest platten an der kanadischen Börseaus dem Tritt. Der Handel musste ausgesetzt werden. Alldiese Vorfälle blieben ohne großes Echo. Erst der Streifschuss vom Juli 2012sollte das ändern. William Murtagh erinnert sich genau an jenen Tag. »Ich bekam einen Anruf aus dem Büro, und es hieß, der Präsident wolle wissen, was da los sei«, er zählt der Meteorologe auf der Konferenz in shington. »Wasfür ein Präsident?«, fragte Murtagh. »Der einer Fluggesellschaft,der eines Stromversor gers?« Die Antwort: »Nein, der Präsident der Verei nigten Staaten.« Seitdem hat sich einiges getan. Der US Kongress verhandelt über ein »Weltraumwetter Forschungs und Vorhersagegesetz«, wie die Initiative in der Sprache der Bürokraten heißt. »Wirmüssen sicher stellen, dass wir die notwendigen Werkzeugeund Ressourcen besitzen, um solche Ereignisse zu erfor schen, vorherzusagen und unsere Infrastruktur zu schützen«, sagt US Senator Gary Peters, einer der Initiatoren des Gesetzentwurfs. Noch wirken die Schritte bescheiden: Zehn Mil lionen Dollar sollen ausgegeben werden, um besser zu verstehen, wie stark die Stürme überhaupt wer den können. Ein paar zusätzliche Millionen sind

2012

eingeplant, um die Leitfähigkeit der Erde zu erfor schen –ein zentraler Punkt, wenn es darum geht, die Folgen eines Sonnensturms abzuschätzen.

BEFREIUNGSSCHLAG IM WELTRAUM Vor allem aber sollen bessere Simulationen und bessere Prognosen entwickelt werden. Denn noch stecken Weltraummeteorologen dort fest, wo sich irdische Wetterfröschein den 1930er Jahren befan den: »Unsere derzeitigen Vorhersagen des Welt raumwetters sind derart primitiv, dass wir maximal vor einem Einschlag warnen können«, sagt Daniel Baker. Ein wirklicher Befreiungsschlag wird allerdings nur im Weltraum möglich sein. Dort, viele Millionen Kilometer von der Erde ent fernt, fehlt ein Frühwarnsystem. Es muss aufbrau sende Stürme erkennen, deren voraussichtliche Stärke erfassen und so den Weltraummeteorologen genügend Informationen für rechtzeitige Warnun gen liefern. Der letzte Satellit, der zu diesem Zweckgestartet worden ist, heißt »Advanced Composition Explo rer«. Seit mehr als 19 Jahren trotzt der amerikani sche Späher bereits den Strapazen des Weltalls.Sei ne Instrumente sind entsprechend ungenau, zudem kann er jeden Augenblickausfallen. Zur Unterstüt zung schickte die NASAdaher 2010die Sonde »Solar Dynamics Observatory« und Anfang 2015 »DSCO VR«hinterher. Der kleine Satellit ist aber nur eine Notlösung: Ursprünglich, Anfang des Jahrtausends, sollte er den Klimawandel auf der Erde beobachten. Kurz

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GRENZBEREICHE •ASTRONOMIE

nach seinem Amtsantritt im Jahr 2001strich US-Präsident George W. Bush allerdings die ungeliebte Mission. Jahrelang stand der Satellit in einem Reinraum herum, nun ist er damit beschäftigt, in lionen Kilometer Entfernung von der Erde unter anderem den Sonnenwind zu vermessen. »DSCOVR« war von vornherein nur als Platzhalter gedacht. Um Vorgängedirekt auf der Sonne zu beobachten, fehlen ihm die nötigen Instrumente. Darum kümmert sich derzeit das gemeinsam von Europa und den USAbetriebene »Solar and Heliospheric Observatory« (SOHO).Der Satellit trotzt seit mehr als 21 Jahren den Widrigkeiten des Weltalls. Da nur mit drei Jahren kalkuliert worden war, könnte auch »SOHO«jederzeit den Geist aufgeben. Die NASAträumt daher von einer neuen Flotte von Sonnenbeobachtern. Siesollen Warnzeiten zwischen vier Tagenund 30 Minuten erlauben und erstmals die Stärke von Sonnenstürmen genau prognostizieren. Etwaeine halbe Milliarde Dollar würde das Projekt kosten. Bislang sind im Budget allerdings nur zehn Millionen Dollar eingeplant. Auch in Europa sieht es nicht viel besser aus. »Das Bewusstsein für mögliche Gefahren aus dem Weltraum ist bislang nicht sonderlich ausgeprägt – ganz einfach weil in jüngerer Zeit nichts richtig Schlimmes passiert ist«, sagt Johann-Dietrich Wörner, Chef der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. »Es ist viel einfacher, Geld für einen Satelliten mit einer direkt nutzbaren Funktion zu bekommen als für ein abstraktes Warnsystem.« Mit einem Frühwarnsystem ist es zudem nicht getan. Esbraucht einen Plan, was zu tun ist, wenn ein Sturm auf die Erde zurollt. Vorsichtshalber alle ge-

fährdeten Systeme abzuschalten ist jedenfalls keine Lösung. »Sobald wir den Strom abdrehen, wird es Tote geben«, sagt Murtagh. Unfälle werden passieren, Menschen werden in Panik geraten. »Derzeit gibt es für einen solchen Schritt keine verlässlichen Modelle«, sagt der Regierungsberater. Und wenn eines Tagesdoch einmal ein besonders starker Sturm die Erde mit hoher Wahrscheinlichkeit ins Visier nehmen sollte? Wer dürfte, wer müsste den Ausschalterfür das Stromnetz drücken? Und welche Kriterien würden dafür gelten? Noch sind viele Fragen offen. Klar ist für die Forscher nur, dass möglichst bald Antworten gefunden werden müssen. Lediglich durch Glück haben die Experten im Juli 2012überhaupt erfahren, welch geballte Sonnenmacht damals an der Erde vorbeigerauscht ist: Der Sturm verfehlte zwar den Planeten, er traf allerdings einen Satelliten zur Erforschung der Sonne. Die Sonde ermittelte die magnetische Struktur des Sturms, den Aufbauseiner Schockwellen,die Zahl der ins All geschleuderten Teilchen–und enthüllte seine ganze Wucht. Daniel Baker fragt: »Wieviele Streifschüsse sind uns in der Vergangenheitwohl entgangen, weil sie unsere Nachweissystemeverfehlt haben?«

Sonnenstürme auf die Erde treffen, gerät das ·Wenn Magnetfeld unseres Planeten unter erheblichen Stress. unzählige hochenergetische Sonnenteilchen mit ·Wenn dem Erdmagnetfeld reagieren, wankt die technische Infrastruktur unserer Gesellschaften. und Politiker fordern nun Vorsichts ·Wissenschaftler maßnahmen – die es bislang nicht mal im Ansatz gibt.

42 %

Leistungsverlust Die Solarzellen der Sonde »SOHO«ha ben seit ihrem Start 1995 zwei Fünftel ih rer Leistung verloren, weil sie getischen Sonnen teilchen ungeschützt ausgesetzt sind. Zudem heizt die Strahlung die äu ßerste Schicht der Erdatmosphäre auf, die sich in der Folge ausdehnt. Satelliten, deren Umlaufbahn dann die Atmosphäre kreuzt, werden durch Gasschwaden abge bremst und könnten abstürzen – wenn nicht gegen gesteuert wird.

Die Raumsonde »SOHO« nahm 2001 einen koronalen Massen auswurf auf. Links zeigen die Teleskope die Sekunden nach dem Ausbruch – die Sonne wird verdeckt, um ihren Rand besser sehen zu können. Rechts erfasst die Sonde hochenerge tische Protonen, die sie nach einer Stunde erreichen.

Der Hitzeschild der Raumsonde »Solar Orbiter« soll verhindern, mente beschädigt werden. Er be steht aus einer Titanfolie, die mit einem Pigment aus geröste ten Tierknochen bestrichen ist.

COOL BLEIBEN Von 2018 an sollen zwei Sonden die Sonnenstürme weiter ergründen. Dabei kommen sie dem Stern sehr nahe. Wie überstehen sie die Hitze? TEXT: ALEXANDER STIRN

FOTOS: NASA/SOHO (2), O. USHER/AIRBUS

G

raue Wolken über Noordwijk? Dafür hat Daniel Müller keinen Sinn: Müller will ganz nahe an den Feuerball heran. Der Physiker arbeitet im größten Weltraumsimulator Europas, dem Large Space Si mulator, er ist Projektwissenschaftler für die euro päische Raumsonde »Solar Orbiter«, die im Oktober 2018 starten soll. Das 1,8 Tonnen schwere Raum fahrzeug wird sich auf ein Viertel der Erddistanz an die Sonne heranwagen. Im selben Jahr soll sich die Sonde »Solar Probe Plus« der NASA auf den Weg ma chen. Beide Raumfahrzeuge sollen sich ergänzen und das Phänomen der Sonnenstürme ergründen. Es sind nicht die ersten Sonden, die sich dieser Fragen annehmen. Bisherige Missionen waren al lerdings meist in jener Ebene unterwegs, in der spektive sind nur Erkenntnisse über den Äquator und die gemäßigten Breiten der Sonne möglich. Was fehlt, sind Bilder von den Polarregionen. Genau dort könnte aber das Geheimnis des Son nendynamos liegen: Da die Sonne kein fester Him

melskörper ist, sondern ein schwammiger Gas unterschiedlichen Tiefen mit jeweils anderen Ge schwindigkeiten. Astronomen vermuten, dass da durch unter anderem jenes Magnetfeld verdreht wird, das für Sonnenflecken, Ausbrüche und die schwankende Helligkeit des Sterns verantwortlich ist. Im Rahmen des elfjährigen Zyklus könnte das Magnetfeld nach und nach zu den Polen wandern. Die »Solar Orbiter«Sonde soll der Sonne sehr nahe kommen, sich auf bis zu 42 Millionen Kilometer an den Stern herantrauen.

HEISSER ALS JEDE BRATPFANNE Derart nah am Feuerball muss sie ein Vielfaches der Sonneneinstrahlung aushalten, die auf der Erde an kommt: »Der Satellit erhitzt sich auf 500, sogar nicht gegrillt wird, benötigt »Solar Orbiter« einen starken Hitzeschild, eine Art Schirm, der vor kosmi schem Sonnenbrand schützen soll.

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19. Dezember 2024: Größte Annäherung an die Sonne

Erd E s onn E MErkur

28. September 2018: Erster Vorbeiflug an der Venus

Nach ihrem Start wird »Solar Probe Plus« insgesamt siebenmal an der Venus fliegen, um dann 2024 auf eine Umlaufbahn um die Sonne einzu schwenken – sie wird dann nur knapp sechs Millionen Kilometer von dem heißen Stern entfernt sein, näher als jedes Raumschiff vor ihr.

Autor Alexander Stirn beschäftigt sich mit Sonnenstürmen seit vielen Jahren und war überrascht, wie ernst Forscher, aber auch Politiker inzwischen die Bedrohung nehmen.

VEnus

Nur: Wie konstruiert man so einen Sonnenschirm? Kohlefasern zum Beispiel,eines der Lieblingsmate rialien der Ingenieure, werden in dieser extremen Umgebung sehr schnell brüchig, die Fasern lösen sich und verschmutzen die optischen Instrumente. Auch Aluminium scheidet aus. Bei Temperaturen bis zu die der Hitzeschild ertragen muss, wird das Material weich und verliert an Stabilität. Stattdessen setzen die Ingenieure auf mehrere Schichten aus einer Titanfolie, die von einer Art Sandstrahlgebläse gereinigt und dann mit tief schwarzem Material beschichtet wird. Zum Einsatz kommen dabei zerkleinerte Tierknochen, die bei geglüht werden. Ein äußerst robustes, lebiges Pigment entsteht. Die Temperaturen auf der Rückseitedes gut sie ben Quadratmeter großen Hitzeschilds sollen da durch nie über 50 °C steigen – obwohl der Titan schild Löcher hat: Um die Sonne zu beobachten, brauchen die wissenschaftlichen Instrumente hin ter dem Schirm einen freien Blick auf den Stern. Trotzdem dürfen sie sich nicht verziehen, da die Op tik auf Bruchteile von Millimetern genau arbeiten muss. Das Instrument PHI, das am Max Planck Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen entwickelt wird, löst dieses Problem durch einen Glasfilter: Die Hightech Sonnenbrille im Hitze

Die europäische Sonde »Solar Orbiter« soll ihr amerikani sches Pendant mit ihren Instru menten unterstützen.

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schild lässt nur die wissenschaftlich interessanten gelben Farben durch. 96 Prozent der Strahlung wer den hingegen reflektiert. Die Kollegen der US Sonde »Solar Probe können über solche Werte nur kühl lächeln. Als erstes Raumfahrzeug der Geschichte soll sich »SPP«durch die Sonnenatmosphäre kämp fen, die sogenannte Korona. Dort soll »Solar Probe Plus« unter anderem messen, wie der Sonnenwind entsteht. Dafür muss sich die Sonde allerdings auf bis zu 6,2 Millionen Kilometer an den Feuerball heranwa gen, die Strahlung erreicht das 500 fache des irdi schen Werts. Herzstück der Sonde ist ein fast zwölf Zentimeter dicker Schutzschild, den »Solar Probe Plus« wie einen großen Sonnenschirm weit vor Er besteht aus einem Kohlenstoffver bundmaterial und soll Temperaturen von mehr als standhalten. Für Gucklöcher im Schutzschild ist allerdings kein Platz. »Solar Probe Plus« saust im Blindflug durch die Korona. Ihre Instrumente können ledig lich spüren, was vor sich geht und wie stark das Magnetfeld, der Teilchenstrom und die Strahlung am jeweiligen Ort ausfallen. Die Augender Sonde ziehen im Idealfall ein paar Millionen Kilometer entfernt ihre Kreise. Sie gehö ren »Solar Orbiter«. Die europäische Sonde wird vier Jahre vor dem amerikanischen Sonnenspäher ankommen, und wenn beide wie geplant durchhal ten, können sie viele Jahre lang gemeinsam den Stern erforschen: »Solar Orbiter« sieht, was auf der Oberfläche vor sich geht. »Solar Probe Plus« misst, was direkt vor Ort passiert. Und »SolarOrbiter« wie derum erkundet, wie sich diese Teilchen in etwas größerer Entfernung verändern. Es wird für beide Sonden ein heißer Ritt.

So soll die NASA-Sonde »Solar Probe Plus« im All aussehen – ihr Hitzeschild muss dann bis zu 1300 °Caushalten.

FOTOS:NASA/JHUAPL, DPA PICTURE-ALLIANCE; ILLUSTRATION: P.M./VORLAGE: NASA

Start: 31. Juli 2018

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VISIONEN•KONFLIKTLÖSUNG

Der Kriegin Syrien ist mörderisch, sein Ende scheint weit entfernt. Der HistorikerChristoph Kampmann sucht neue Wege zum Frieden. Sein überraschender Vorschlag:Diplomatie, die 1648 den DreißigjährigenKriegbeendete, könnte heute die Lösung bieten. INTERVIEW: MARTINSCHEUFENS

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FOTOS:VINTAGEMEDIA,DPA PICTURE-ALLIANCE

In 400 Jahren nichts dazugelernt? 1632 starben Tausende in der Schlacht bei Lützen nahe Leipzig (l.), heute ist Aleppo Kriegsschauplatz (r.).

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VISIONEN •KONFLIKTLÖSUNG

»Ein parteiischer Vermittler! In der Theorie ist das absurd. In der Praxis lief es sehr gut. «

Genf am 23. Februar 2017. Vertreter der syrischen Regierung und der Opposition verhandeln auf neutralem Boden.

übersichtlicher Krieg Syrien. Alle Schlichtungsversuche sind bislang gescheitert. Der Marburger Geschichtsprofessor Christoph Kampmann ist Experte für den Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg beendete. Er ist überzeugt: In der Diplomatie von damals könnte heute der Schlüssel zum Frieden liegen. Denn es gibt Parallelen zwischen beiden Kriegen.

Christoph Kampmann Der 1961 geborene Historiker lehrt an der Universität Marburg und nimmt derzeit an einer internationalen Initiative der KörberStiftung teil, bei der Historiker, Politologen und Diplomaten Lösungen für die Konflikte des Mittle ren Ostens suchen.

Was hat der Syrien-Konflikt mit dem Dreißig jährigen Krieg zu tun? Die modernen Kriege sind asymmetrische Konflikte – und deshalb gerade dem Dreißigjährigen Krieg gar nicht so unähnlich. Es gibt drei große Parallelen: Beide Konflikte sind kein Krieg zwi schen Staaten, sondern um die Struktur eines Staates. In beiden Kriegen gibt es keine fest gefügte Staatlichkeit, sondern eine große innere Brüchigkeit. Im Dreißigjährigen Krieg kämpften zu Beginn die Reichsfürsten gegen ihren Kaiser, in Syrien kämpfen Rebellen um die Absetzung Assads und um die Frage, was für ein Staat ihm folgen soll. Der Kampf wurde und wird also wesentlich durch Akteure jenseits der staatlichen Ebene ausgetragen, Rebellen im Reich damals oder guerillaartige Verbände heute. Zweitens: In beiden Kriegen interveniemöglichst die direkte Konfronta-

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Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee im Januar 2017 beim Vormarsch auf Aleppo

tion. Im Dreißigjährigen Krieg mischten sich Frankreich und Schweden in einen deutschen Bürgerkrieg ein. In Syrien sind es Iran und Saudi-Arabien, beziehungsweise Russland und die USA, die dort ihre Interessen durchsetzen wollen und die nichtstaatlichen Akteure unterstützen. Was ist die dritte Gemeinsamkeit? Die Rolle der Religion. In Syrien ist hier vor allem der Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten zu nennen, im Dreißigjährigen Krieg der zwischen Katholiken und Protestanten. Wie ändern sich die Friedensverhandlungen durch diese asymmetrischen Konflikte? Die Friedensstiftung wird wesentlich komplexer: Es gibt eben nicht nur die Großmächte, sondern auch die nichtstaatlichen Akteure mit jeweils eigenen Interessen. Sollten sich etwa Russland, Iran und die Türkei einigen, hätte man nicht automatisch Frieden. Denn da sind noch die Kurden, der sogenannte Islamische Staat, die geschwächte bellengruppen. Wenn sich einer von denen übergangen fühlt, führt der einfach weiter Krieg. Bislang kann man sich in Syrien nicht einmal auf einen Waffenstillstand einigen. Das war im Dreißigjährigen Krieg genauso. Der Krieg ging weiter, während um den Frieden gerungen wurde. Je nach Kriegslage fielen die Forderungen der Unterhändler größer oder kleiner aus. Aber muss dem Frieden nicht ein Waffenstillstand vorausgehen?

FOTOS: REINHOLD ECKSTEIN/PHILIPPS-UNIVERSITÄT MARBURG, GETTY IMAGES (2); GEMÄLDE: WESTFAELISCHER FRIEDE IN MUENSTER, GERARD TER BORCH, 1648

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eit sechs Jahren tobt

Der Dreißigjährige Krieg zeigt: Ein Waffenstill stand ist nicht unbedingt notwendig! Es geht anders – und kann letztlich erfolgreich sein. In Syrien gestaltet sich die Durchsetzung eines stabilen Waffenstillstands als schwierig, alle Vereinbarungen erwiesen sich als brüchig. Trotzdem hat man sich in Genf getroffen, später in Astana. Würde man auf einem Waffenstillstand beharren, würde sich der Beginn der Friedensverhandlungen extrem verzögern.

Zum Beispiel? Als das katholische Frankreich und das katholische Spanien miteinander verhandelten, galt der Papst als perfekter Vermittler. Bis beide Seiten merkten: Der päpstliche Mediator bringt uns nicht weiter. Nun wählten Spanien und Frankreich einen neuen Vermittler. Und wen wählten sie? Ausgerechnet die Niederlande! Protestanten! Noch dazu mit Frankreich verbündet und im Streit mit Spanien! Ein parteiischer Vermittler – in der Theorie ist das absurd. In der Praxis lief es aber sehr gut: Denn die Niederlande waren selbst vom Konflikt betroffen, sie brauchten den Frieden und waren daher extrem engagierte Mediatoren. Außerdem konnten sie als Verbündete Frankreichs eben auch Frankreich unter Druck setzen.

Eine der Vertragsunterzeichnungen zum Westfälischen Frieden im Rathaus saal in Münster – gemalt von Gerard ter Borch 1648. Genau 77 Verhandler sind ab gebildet, die nieder ländischen Gesandten links haben die Hand zum Schwur erhoben, die Spanier legen ihre Schwurhand feierlich auf eine Bibel.

Und nun versuchen Sie im Dialog mit Diplo maten, Lösungen aus dem Westfälischen Frie den auf Syrien zu übertragen? Nicht eins zu eins. Generell muss man sich hüten, allzu detailgenaue historische Parallelen finden zu wollen. Was man vom Westfälischen Frieden lernen kann, ist die hohe Innovationsbereitschaft, mit der Im Syrien-Konflikt sollte man also auch eher die Herausforderungen kreativ und unter Über Vermittler mit Eigeninteresse suchen? windung traditioneller Blockaden gelöst wurden. Exakt! Zwischendurch galt Südafrika als

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VISIONEN•KONFLIKTLÖSUNG

möglicher Vermittler, aber da wäre ich vorsichtig. Denn Südafrika hat keine besonderen eigenen Interessen in dem Konflikt und will sich irgend wann vielleicht nicht mehr zwischen den Parteien aufreiben lassen. Nur wer selbst Interessen ver folgt, hat den nötigen langen Atem.

1815

Guter Vertrag Napoleons Armeen sind besiegt, Krieg und Besatzung vorüber. Die Sieger zeigen sich großzügig und entscheiden auf dem Wiener Kongress , dass Frankreich wieder sein Vorkriegsterritorium einnehmen darf. Es folgen Jahrzehnte des Friedens.

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über jeden kleinen Schritt informieren. Und dann wird geredet und geredet.

Wie kamen im 17.Jahrhundert solche ungewöhnlichen Konstellationen zustande? Damals dauerten die Verhandlungen fünf Jahre. Fünf Jahre, in denen die Diplomaten im kleinen Münster und Osnabrück auf engstem Raum zu sammenlebten. Sie bildeten irgendwann eine Art Schicksalsgemeinschaft. Sie redeten natürlich auch informell untereinander und loteten krea tive Ideen aus. An enge Kontakte mit den Heimat regierungen war nicht zu denken: VonMünster nach Spanien benötigte ein Bote sechs bis acht Wochen. Bis er mit neuen Weisungen zurückkam, verstrichen Monate. Die Diplomaten waren vor Ort auf sich gestellt. Das war ein Vorteil.

Aber was bringt die Isolation genau? Man erkennt, was dem anderen wirklich wichtig ist. Manche Standpunkte hält man zunächst für unverrückbar. Bis man merkt: Bewegungist mög lich, denn eigentlich ist dem Gegenüber etwas anderes viel wichtiger – und dieses andere kann ich ihm bieten. Hinter vielen Forderungen steckt ein großes Sicherheitsbedürfnis: Man hat Angst, dass der andere zu stark und auf Dauer zu gefähr lich wird. Und konsequenterweise fürchtet man sich dann vor der Zeit, in der die Waffen gelegt und die Armeen der Verbündeten zogen sind – man weiß nicht, ob der Gegner dies ausnutzt. Nur wenn die jeweiligen interessen der Parteien transparent sind, kann man ihnen gerecht werden. Um diese Sorgen der Gegenseite anerkennen zu können, braucht es lange Gespräche.

Heutzutage berichten die Medien live, und die Regierungen wissen von jedem Verhandlungs schritt in Sekunden Bescheid. Und in der Heimat sitzen Dutzende Interessen gruppen und melden sich bei jedem Zugeständ einem empörten »Dasgeht gar nicht!« Vielleichtmüsste man für Syrien die Bedingungen von Münster künstlich schaffen, geschlossene Verhandlungen wie in einem Konklave. Allediplomatischen Vertreter werden für eine Wocheeingeschlossen, alle Handys werden abgegeben, sie dür fen ihre jeweiligen Regierungen nicht

Das Problem nach einem Krieg: Das Vertrauen ist gering, sich dem anderen zu öffnen. Natürlich: Das Vertrauen in den anderen ist nach einem Krieg völligzerrüttet. Hinzu kommt, dass der religiöse Hass die Stimmung enorm vergiftet hat. Schließlich sagen Prediger auf beiden Seiten: Ein Versprechen gegenüber einem religiösen Feind darf man wieder brechen. Es beruhigt also gar nicht vollends, einen Friedensvertrag zu unterschreiben, sondern man muss ver trauen, dass der Vertrag auch einge halten wird. Und das geht nur durch handfeste Garantien.

Berittene Boten verkündeten den Westfälischen Frieden, das Ende des Dreißigjährigen Kriegs.

FOTOS:AKG-IMAGES (2), GETTYIMAGES,INTERFOTO

Die geradezu idyllische Ansicht eines lebens im Dreißigjähri gen Krieg wurde um 1890 gemalt. Rechts: Soldaten der Freien Syrischen Armee ju beln im Februar 2017 in Ruinen über die Be freiung der Stadt Al Bab von IS Kämpfern.

»Man müsste für die Syrien-Verhandlungen Bedingungen wie in einem Konklave schaffen. « Wie sahen solche Garantien im jährigen Krieg aus? Andere Länder wurden zu Garantiemächten. Frankreich und Schweden übernahmen diese Garantie für die Protestanten in Deutschland. Als der katholische Kaiser und die Protestanten den Vertrag schlossen, hatten die Protestanten Angst, dass der Kaiser nach einiger Zeit seine Versprechen brechen könnte. Es kam daher damals zu einer heute unvorstellbaren Regelung: Frankreich wurde das Recht gewährt, militärisch in Deutschland einzugreifen, sollte der Kaiser irgendwann sein Versprechen brechen. Der Kaiser musste unterschreiben, dass die Franzosen in sein Land einmarschieren dürfen? Ja! Heute gilt die Souveränität eines Staates als höchstes Gut und Grundlage der Diplomatie. Vielleicht müsste man diese starre Vorstellungvon Souveränität etwas lockern. Die Übernahme von wechselseitigen Garantien, auch durch auswärtige Mächte, könnte zum Beispiel ebenfalls in Syrien die Friedensbereitschaft erhöhen. Eine Besonderheit des Westfälischen Friedens war die sogenannte Dritte Partei. Was verbirgt sich dahinter? Die Dritte Partei war ein informeller Zusammenschluss von katholischen und protestantischen Reichsfürsten. Sie hatten während der Verhand-

lungen gemerkt, dass sie mehr verband als trennte. Die Verhandlungen zwischen den Großmächten waren festgefahren, da wirkten die kleineren Kongressteilnehmer der Dritten Partei zusammen, um Druck auf die Großen auszuüben: »Entweder ihr schließt endlich Frieden, oder wir kündigen euch die Treue auf.« Es wäre auszuloten, wer in Syrien eine solche Rolle spielen könnte. Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister vorgeschlagen, dass Europa in Syrien solch eine Dritte Partei sein könnte. Natürlich steht Europa einigen Mächten näher als anderen. Aber gerade weil wir Eigeninteressen haben, könnten wir sehr gut Druck auf alle Seiten ausüben. Nicht militärisch, sondern diplomatisch und finanziell. Wie kann der Krieg der Religionen geschlichtet werden? In beiden Kriegen wurde und wird Religion von den Kriegstreibenden auch instrumentalisiert. In der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs hetzten radikale theologische Prediger gegen die andere und die katholischen und protestantischen Fürsten feuerten sie dabei an. Das entwickelte eine Eigendynamik, die den Fürsten selbst gefährlich werden konnte. Im aktuellen Konflikt ist zu beobachten, dass Mächte, die Radikale zunächst gefördert haben – wie Saudi-Arabien –, mittlerweile wohl selbst Angstvor ihnen haben. Die Geschichte zeigt, dass sich Religion nicht einfach instrumen talisieren und kontrollieren lässt.

1919 Schlechter Vertrag Die Sieger des Ersten Weltkriegs diktieren Deutschland im Versailler Vertrag demütigende Friedensbedingungen, darunter Gebietsabtretungen und hohe Reparationszahlungen. Die deutsche Wirtschaft geht in die Knie,es kommt zu Unruhen. Die Lehre: Wer als Gewinner an die Grenzen des Möglichen geht, sät die Saat für den nächsten Krieg.

Der Dreißigjährige Krieg DREIJAHRZEHNTEkämpfen Kaiser und Landesfürsten, Protestanten und Katholiken,Habsburger und Franzosen um die Macht in Mitteleuropa.Den Beginn markiert der Prager Fenstersturz 1618:Böhmische Adligewerfen drei Vertreter des in Wienregierenden Kaisers Ferdinand II.aus dem Rathausfenster. Ferdinand entstammt der Habsburger-Dynastie und willwieder flächendeckend den Katholizismus einführen. Dadurch sehen die Protestanten die Religionsfreiheitin Gefahr. Die protestan tischen Großmächte Dänemark und Schweden sind so aufgeschreckt wie das katholische Frankreich,das von habsburgisch regierten Ländern umgeben ist. Kämpfe der wechselnden Koalitionenwerden durch immer neue ungelöste Konflikte befeuert. Den Frieden bringen schließlich nicht Soldaten, sondern Diplomaten.

Kupferstich vom Angriff der Schweden 1632 auf Deutz am Rhein aus Matthäus Merians Werk »Theatrum Europaeum« (1635)

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VISIONEN•KONFLIKTLÖSUNG

»Die Fürsten verpflichteten sich, gegen radikale Prediger vorzugehen. « zerfressen und intolerant war. In Syrien und ande ren Ländern der Region haben die Konfessionen jahrzehntelang gut zusammengelebt – sie schießen erst jetzt wieder aufeinander. Das heißt im Um kehrschluss aber auch: Die religiöse Aufladung des Konflikts kann wieder entschärft werden.

Das Gespräch mit Christoph Kampmann zeigte Autor Martin Scheufens einmal mehr, wie sich Geschichte in der Gegenwart wiederholt .

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Wie konnte der Westfälische Frieden die Religionen trotzdem bändigen? Der WestfälischeFrieden löste dieses hitzige Thema sehr geschickt, indem er religiöse Themen nicht inhaltlich diskutierte. Es wurden tische, säkulare Lösungen gesucht, um das Zusam menleben der Konfessionen zu ordnen. Die Fürs ten verpflichteten sich 1648, religiöse Polemik zu verbieten und in ihren Territorien gegen radikale Prediger des eigenen Lagers vorzugehen. Würde diese Taktik auch im Mittleren Osten funktionieren? Ich glaube schon. Auch die Fürsten handelten damals nicht so, weil sie areligiös waren oder dachten, dass solche Hetzreden falsch seien. Da mals gab es die Idee der religiösen Toleranznoch gar nicht. Die Mächtigen suchten trotzdem nach Wegen der Zusammenarbeit, weil sie tief erschro cken waren von der Zerstörungskraft des Kriegs. Die Erfahrung des friedlichen Zusammenlebens nach dem WestfälischenFrieden schuf die Grund lage für die Aufklärung. Die Katholiken merkten auf einmal: Ich kann ja doch mit den Protestanten zusammenleben. Kann der Islam diese Aufklärung auf ähnliche Weise nachholen? Es stimmt einfach nicht, dass die islamische Weltimmer religiös

Frucht langer Verhandlungen: Vertrag zum Westfälischen Frieden 1648 – mit sieben Siegeln

Welche ist für Sie die wichtigste Lektion des Westfälischen Friedens? Im WestfälischenFrieden wurde kein Schuldiger benannt. In späteren Jahrhunderten hingegen haben Kriegsgewinner die Verlierer gedemütigt. Woim Friedensvertrag Rache genommen wird, ist die Saat des nächsten Kriegs schon gelegt. Nach dem Krieg von 1870/71wurde Frankreich von der deutschen Gewinner Allianz gedemütigt, 1918/19 hat die Entente im VersaillerVertrag Deutschland fast unerfüllbare Friedensbedingungen auferlegt. Da war schon klar: Deutschland wird sich nie mit dem VersaillerVertrag abfinden. Ganz anders beim Wiener Kongress 1815:Das napoleonische Frankreich hatte Europa Krieg und Besatzungs herrschaft gebracht, trotzdem beließen die Sieger Frankreich das gleiche Territorium wie vor dem Krieg. Das war eine enorme Geste – und eine sehr kluge dazu! Dem Wiener Kongress folgten nämlich viele Jahrzehnte Frieden. Das ist eine wichtige Lektion, die kein Sieger vergessen darf: Nie bis an die Gren zen des Möglichen gehen, auf Dauer zerstört das den Frieden. Eines Tages wird der Feind zum Gegenschlag ausholen.

FOTOS:DPA PICTURE-ALLIANCE, INTERFOTO (2)

In Wien rangen 2015 Russlands Außenminister Sergei Lawrow, der UNO-Gesandte für Syrien Staffan de Mistura und US-Außenminister John Kerry (von links) vergeblich um eine Lösung. Auch der Öster reicher Maximilian von und zu Trauttmansdorff (Gemälde) musste während seiner Verhandlungen im Dreißigjährigen Krieg viele Rückschläge hinnehmen. 1647 zog er sich frustriert zurück.

Gibt es auch Regelungen des Westfälischen Friedens, die kritisch gesehen werden? Völkerrechtler diskutieren bis heute über das »friedliebende Vergessen«:Niemand durfte Re chenschaft einfordern für die Verbrechen im Krieg. Kompensationen wurden im Vertrag gere gelt, darüber hinaus war es verboten, gehen auch nur anzusprechen oder später zuklagen. Manche Völkerrechtler sagen, Frieden müsse über allem stehen, auch über der Gerech tigkeit. Andere entgegnen, solch eine Regelung Einladung zu Grausamkeiten im nächs Die Schlächter wissen: Am Ende wird des Schweigensdarübergelegt.

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Die tägliche Bilderflut prägt unsere Wahrnehmung von der Welt – der russisch-amerika nische Künstler Lew Manowitsch zeigt in diesem Fotoprojekt, wie sich 2014 die ukrainische Revolu tion im Fotoportal Instagram darstellte.

AUF DER SUCHE

nach der Wahrheit Medien und soziale Netzwerke überschwemmen uns täglich mit Bildern. Wiekann man sichergehen, dass sie wirklichzeigen, was sie vorgeben?

FOTOMONTAGE: LEWMANOVITSCH

TEXT:MARLENE GÖRINGUNDTHILONEUMANN

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B

ilder sind überall: im Fernsehen, im Inter

»Jeder kann überprüfen, ob ein Bild glaubwürdig ist.«

bedienen kann, hätte zum Bei spiel mithilfe einer Suchmaschi

werken. Sie entscheiden darü rausfinden können, dass es im ber, was geglaubt wird und was Inneren der Dresdner Altmarkt nicht. Sie dienen als Beweis und Galerie anders aussieht als in Gegenbeweis, liefern Argumente dem dort angeblich aufgenom und sollen dokumentieren, was menen Weihnachtsbaum Video. Sam Dubberley, Bildforensiker ist. Nichts traut man mehr als Eine alte Fabrik in Berlin den eigenen Augen. Kreuzberg. Hinter der Tür im Juni 2016: Auf einem Foto vierten Stock hat die NonProfit reckt Rammstein Sänger Till Organisation Sourcefabric ihr Lindemann nach einem Kon dengekommen. Noch nie war es so einfach, Bilder zu produzieren nen und Bürgerjournalisten mit hoch, auf seinem T Shirt prangt und zu verbreiten – aber auch, sie Software. Und sie will der Welt zu manipulieren. Vor allem weil die Wahrheit zurückgeben. Mit sischen Staatspräsidenten. Ein Bilder nicht mehr nur von pro dem »Verified Pixel«Projekt, ei deutig: Lindemann ist Putin Fan! fessionellen Fotografen geliefert nem digitalen Werkzeug, mit dem Das stimmt nicht. Putins werden, sondern auch von Au Redaktionen bestimmen kön Gesicht ist mit der Bildbearbei genzeugen und Aktivisten. Pro nen: Ist ein Bild authentisch? tungssoftware »Photoshop« in paganda Aufnahmen des IS sind das Foto hineinmontiert worden; mittlerweile fester Bestandteil as Neue daran: Verified das prorussische Nachrichten der Nachrichten. Pixel vereint drei wichtige portal »Sputnik« hat die Aufnah Die Bilder erreichen uns über Programme zur Bildveri me zuerst auf Twitter gezeigt. etablierte Medien – aber auch fikation auf einer Plattform: das November 2016: Jugendliche, über private Blogs oder Nachrich forensische Analysetool »Izitru« allesamt dunkelhaarig, klettern tenportale, die ihre ideologische sowie die Fotosuchprogramme auf einen Weihnachtsbaum, rei Linie kaum verschleiern. Das Pro »Google Reverse Image Search« ßen den Schmuck herunter und blem ist heute nicht mehr, an Bil und »TinEye«. »Jeder Journalist die Arme nach oben, als hätten der zu gelangen. Das Problem ist: sollte sie kennen und beherr sie gerade einen Sieg errungen. Welche sind echt, welche nicht? schen«, sagt der ITExperte und In AfDForen wird das Video Manchmal wäre es ganz ein Sourcefabric Gründer Douglas geteilt, die Empörung ist groß: fach, diese Frage zu beantwor Arellanes. Aber auch Privatleute Wütende Muslime plündern ei können die Tools ausprobieren. nen Christbaum in der Dresdner Altmarkt Galerie! Das stimmt nicht. Der Film ist fast ein Jahr alt und zeigt etwas TV-Regieraum: Welche Bilder sollen gesendet werden? ganz anderes: Der Baum steht in Wirklichkeit in der Mall of Ara bia, einem Einkaufszentrum in Kairo. Er wird nicht geplündert: Ein paar Jungs erlaubten sich ei nen Streich. Laut Mall Manage ment eilten sofort Sicherheits kräfte dazu – und der Spuk hatte nach wenigen Minuten ein Ende. Fake News, alternative Fakten oder nachprüfbare Wirklichkeit? Es scheint, als wäre der Welt in

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Dreiste Fälschung: Anstelle eines Totenkopf-T-Shirts trug Till Lindemann, Frontmann der Band Rammstein, im Internet plötzlich ein Putin-Porträt.

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TECHNIK•BILDFORENSIK

FOTOS:SPUTNIK,REUTERS,GETTYIMAGES(2)/MONTAGE

Rufmord per Bildfälschung: Nach einer Demonstration radikaler Muslime brandmarkte der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders im Februar 2017 seinen Gegner Alexander Pechtold als angeblichen Demo-Teilnehmer. Der Kopf des Liberalen wurde ins Bild montiert (r.).

Izitru analysiert neben der Pixel struktur eines Bildes die daten von Fotos. Metadaten sind jene Informationen, die digitalen Fotos bereits bei der Aufnahme mitgegeben werden: das stehungsdatum, das Kameramo dell, die Ausrichtung des Smart phones – schaut der Fotograf nach Nord oder nach Südosten? Und, falls das Gerät eine GPS Funktion hat: die genauen Koor dinaten des Aufnahmeorts. Aber Metadaten kann man fälschen. Käme es in diesen Ta gen zu einem Terroranschlag in Paris, könnte jemand ein Bildder letzten Attacke vom November 2015 online stellen, bei dem er die Informationen zum Entste hungsdatum manipuliert hat. Genau solche Fälschungen spüren die Suchdienste Google ReverseImage Search und TinEye auf. Sie suchen in der digitalen Welt nach übereinstimmenden oder ähnlichen Fotos. Wurde die Aufnahme schon einmal ins Internet gestellt, ist die Wahr scheinlichkeit hoch, dass sie von Google oder TinEye erkannt der Bediener der Software kann dann schnell erkennen, ob ein vermeintlich aktuelles Foto

schon seit Jahren durchs Netz geistert. »Jedes Stück tion in einem Bild ist wie ein Stein in einer Mauer«, erklärt Co Gründer Sam Dubberley das Prinzip von VerifiedPixel. »Jehö her die Mauer ist, desto schwerer haben es Fälschungen durchzu kommen.« Verified Pixel ist über sogenannte Application Programming terfaces (API),mit den drei On linediensten verbunden. Richtig pro grammiert wird ein APIzum Verbindungsstück zwischen ver schiedenen Anwendungen: Wird ein Foto bei Verified Pixel hoch geladen, leitet das System es rallel an Google, TinEyeund Izi tru weiter. in Programm, drei Verifi kationsschritte – in weni ger als einer Minute erhält der Nutzer eine fundierte Ein schätzung der Glaubwürdigkeit des Bildmaterials. Ein system zeigt an, ob ein Bild im Original vorliegt, ob es leicht oder stark bearbeitet wurde. Der Quellcode für die Software ist für jeden zugänglich. »Jeder kann überprüfen, ob ein Bildvon Twit

E

ter glaubwürdig ist oder nicht«, erklärt Dubberley. Umso über raschter waren die Gründer, dass bislang nur wenige Journalis Dienste nutzen oder kennen. Bis heute wartet VerifiedPixel auf Partner Redaktionen. »Es gibt da defini tiv ein Problem in der Medien kultur«, sagt Dubberley. Der Journalist Michael gener arbeitet jeden Tag mit rifikaktionsdiensten. Er sitzt in Hamburg im Schatten eines kas tenartigen Gebäudes mit weißen Satellitenschüsseln; das Haus be herbergt die Nachrichtenredak tion der ARD. Wegener und sein Team prü fen täglich Bilder, die sie in sozia len Netzwerken aufspüren oder die unaufgefordert eingesandt werden. Oft aus gefährlichen Re gionen, in denen kaum Journa listen vor Ort sind und wo zur Il lustration von Nachrichten nur verwackelte Handyaufnahmen von Anwohnern oder Betroffe nen vorliegen. Sie zeigen zum Beispiel Gefechte in der Ukraine oder Vorstößedes IS in Syrien. Bevor dieses Material den täglich knapp neun Millionen Zuschauern der »Tagesschau«

1,8

Milliarden Bilder pro Tag im Internet Über soziale Netzwerke wie Facebook, WhatsApp, Instagram und Snapchat wurden vor drei Jahren im Internet täglich rund 1,8 MilliardenFotos hochgeladen und geteilt. Heute wird diese Zahl beinahe von WhatsApp allein erreicht.

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»Wenn möglich, stellen wir einen Kontakt zum Fotografen her.« Michael Wegener, Leiter Content Center ARD aktuell

Wie viele ProfiFotografen gibt es? Die Gesamtzahl aller hauptberuflichen Männer und Frauen, die regelmäßig für Geld fotografieren, wird nirgendwo erfasst. Experten schätzen, dass es in Deutschland nicht mehr als 5000 sind.

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um 20 Uhr präsentiert wird, prü fen Wegenerund seine Kollegen, ob die Bilder wirklich zeigen, was sie vorgeben. »Die Verifikation folgt zwei Wegen«, erklärt Wegener. »Wir prüfen sowohldie Quelle als auch das Bild.« Das ist auch der Stan dard, der international von rifikationsforschern empfohlen wird. Neben einer Metadaten analyse überprüfen die Recher cheure auch den Urheber des Bildes. Wie lange ist er schon bei Twitter oder Facebookaktiv, wie gut ist er vernetzt, wie viele Bei träge hat er veröffentlicht? Wege ner: »Wenn möglich, stellen wir einen direkten Kontakt her.«

Der wichtigste Prüfschritt stehe aber in der Befragung von Experten, die ihre Einschätzung zu den Bildern abgeben. Die Re daktion besitzt eine Liste mit An sprechpartnern für nahezu je Thema an jedem denkbaren Ort – von den ver schiedenen Typen von Militär hubschraubern im Irak bis hin zur Lokalisation eines Bergrut sches in den Alpen. o soll die Gefahr minimiert werden, gefälschte Bilder auszustrahlen. »BeimTer roranschlag in Brüssel im März 2016 erreichten uns innerhalb kürzester Zeit angebliche Auf nahmen aus dem betroffenen Flughafenterminal«, erzählt We gener. Seine Leute prüften die Fakten nach. Schnell war klar: Die Bilder zeigten den Moskauer Domodedowo Flughafen nach einem Anschlag2011. Solche Fakes sind Alltag in der ARDRedaktion, 90 Prozent der problematischen Bilder sind

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Fotos, die in einen verkehrten Zusammenhang gestellt werden. Zur Bundestagswahl in diesem Jahr würden es noch viel mehr werden, erwartet Wegener. Sein Team bereitet sich darauf vor. Die ARDRedaktion ist eine der weni gen in Deutschland, die sich eine solche Abteilung leistet. Digitale Bildforensiker von außerhalb be auftragt sie selten. Weltweit gibt es nur ein paar Dutzend solcher Spezialisten, in Deutschland kann man sie an ei ner Hand abzählen. Jens Kriese ist einer von ihnen. Der digitale Bildforensiker arbeitet in einem Altbau im Hamburger Schanzen viertel, dem Sitzseiner Firma Di gital Image Forensic. Auf dem Schreibtisch stehen drei Bild schirme und zwei Laptops, runter brummen drei Desk top PCs. Zu Krieses Kunden gehören vor allem Privatleute und Versicherungen. Kriese beweist zum Bei Vermieter, dass das vom Schimmel an der

FOTOS:AP PHOTO/DPAPICTURE-ALLIANCE/VORLAGE MONTAGE: URSULADAHMEN, GETTYIMAGES;BILDANALYSEN: CHRISTIAN RIESS/UNI ERLANGEN, T. GLOEU. M. KIRCHNER/TU DRESDEN, JENSKRIEGE/HTTP://DIGITAL-IMAGE-FORENSIC.DE

Anderer Ausschnitt, re Wirkung: Das Foto in der Mitte zeigt einen iraki schen Soldaten im Irak krieg 2003, umgeben von US Soldaten. Auch die Bilder links und rechts er schienen in der Presse – und suggerierten jeweils ein anderes Geschehen.

TECHNIKBILDFORENSIK •

So enttarnen Foto-Detektive Fälschungen BILDFORENSIKExperten, die gefälschte Fotos aufspüren wollen, besitzen Datenbanken mit zahlreichen Informationen über die Besonderheiten aller gängigen Kameramodelle (zum Beispiel Pixel fehler, Eigenheiten von Sensoren oder Linsen). Wenn in einem Foto typische Merkmale von zwei verschiedenen Kameras auftauchen, ist klar, dass hier manipuliert wurde und es sich nicht um das Originalbild handeln kann. Diese Information liefert ein Computerprogramm mithilfe vonAlgorithmen. Sie können auch feststellen, ob ein Gegenstand oder Mensch in einer bestimmten Entfernung in der

dazu passenden Größe abgebildet ist – wenn nicht, wurde er mit großer Wahrscheinlichkeit nachträglich hineinkopiert. Ein digitales Werkzeug für diese Art der Bild manipulation ist der Kopierpinsel. Er ermöglicht, bestimmte Bildteile mehrfach in ein Foto einzufügen (siehe Bildreihe ganz oben). Bildforensiker ver wenden auf der Suche nach solchen Manipulationen Duplikat-Detektoren , die solche mehrfach vorhandenen Teile erkennen. Wenn Bildteile vergrö ßert wurden, verraten sie sich ebenfalls: durch ungewöhnlich gleichmäßige Pixel.

Obere Reihe: Die Analyse des Fotos links ergibt, dass von den acht Statuen immer zwei identisch sind (farbige Paare); das kann nicht der Realität entsprechen. Tatsäch lich existieren nur vier Statuen (r.). Die untere Reihe zeigt die Spuren einer Software, die in vielen Kameras auto matisch Abbildungs fehler korrigiert. Die Bilddetails verraten Brennweite und sogar das Kameramodell.

Ein Demonstrant gelt 2009 auf einen Polizisten ein. Später wurde der Täter als Linksradikaler gezeigt – mit einem Antifa Symbol auf der Jacke (l.). Eine Software erkennt, dass das nicht zum Originalbild passt (M. und r.).

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TECHNIK•BILDFORENSIK

1981

Der Beginn der Digitalfotografie Die erste Fotokamera ohne Filmwar die »Mavica« von Sony; ihre analog auf Diskette gespeicherten Bilder ließen sich im Fernseher betrachten. 1986 kam Canon mit der »RC701« auf den Markt– der ersten »richtigen« Digitalkamera.

Marlene Göring erschrak bei der Recherche da rüber, wie viele Menschen Fakes Glauben schenken – und sich auch durch Beweise nicht davon abbringen lassen.

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Wohnungsdecke schon vor Jah ren entstanden ist und nicht erst vor Kurzem – weil das Bild Daten enthält, die typisch für eine tere Kamera sind. Oder er zeigt, dass ein seltener Schmetterling gar nicht in einem Baugebiet fo tografiert wurde; und dass des halb die Bauarbeiten dort nicht aus Artenschutzgründen aufge geben werden müssen. Manchmal landen auch Bei spiele aus den Medien auf Krie ses Tisch. Wie jenes Bild eines vermeintlichen Antifa Sympa thisanten, der auf einen Polizis ten einprügelt. Die AfDin Stade hatte das Fotoim Herbst 2016auf einem Flyer verwendet. Kriese lädt das Bild auf seinem Rechner und öffnet ein Programm. Nun erscheint das Foto nur noch in Rottönen. Die Stelle mit dem An tifa Logo auf der Jacke des An greifers leuchtet hell. Wenn ein Bild in einem Bearbeitungsprogramm abge speichert wird, werden ihm eine Kompressionsrate und eine Qua litätsstufe zugewiesen. Diese In formationen stimmen beim Logo

und dem Hintergrund nicht überein: »Hier wurden offen sichtlich zwei Bilder zusammen montiert«, sagt Kriese. DasOrigi nalfoto des Prüglers stammte aus Griechenland. Der Fake verbrei tete sich bis in die USA,dort mit der Titelzeile: »Linke Gewalt ge gen Trump Anhänger«. ie Signale in digitalen Bil dern haben ähnlich wie Musikaufnahmen eine Frequenz. Die ändert sich dort, wo etwas am Original verändert wurde. Etwa bei einer Collage, wenn ein bildfremder Teil gefügt oder ein Bereich aus dem Bild verdoppelt wurde. »Jede physikalische Eigenschaft der Kamera, jede Bearbeitung in einer Software hinterlässt Spu ren«, sagt Kriese. Die Fälscher wissen das und haben Methoden gefunden, gän gige Prüfverfahren auszutrick sen. Diese Finten wollen derum die Forensiker knacken. Anti Anti Bildforensik nennen das die Experten. »Dasist wie bei ›Spion &Spion‹«, sagt Kriese.

D

Die Bildforensik funktioniert wenn ein Foto oder Videoim Original vorliegt. Bilder aus sozialen Netzwerken wurden meistens schon oft kopiert, ge teilt und hochgeladen –jedes Mal gehen dabei Bildinformationen verloren. Andererseits hilft Un mittelbarkeit der Wahrheit auch: Je schneller etwas online gestellt, geteilt und von den Nutzern ge prüft wird, desto schwieriger ist das Fälschen. Tools wie Verified Pixel liefern jedoch keine serdichten Beweise,sondern nur Indizien, die es zu überprüfen gilt. Und da ist immer noch der Mensch gefordert.

in sozialen Netzwerken und ·Fotos den Medien können gefälscht

· ·

sein; Bildforensiker versuchen, das zu entlarven. Ihre Computerprogramme prüfen, ob ein Bildim Originalvorliegt. Es kann auch in einem falschen Zusammenhang erscheinen. Die Fälscher rüsten technisch auf, die Bilddetektive ebenfalls – mit Anti-Anti-Bildforensik.

FOTOS:REUTERS,AP PHOTO/DPA,JAKOBSCHNETZ

Da fehlen zwei: Präsident Obama und sein Team verfolgen auf einem Bildschirm die Tötung Osama bin Ladens (2011):Eine jüdisch-ortho doxe Wochenzeitung entfernte HillaryClinton und eine Mitarbeiterin aus dem Foto – weil man prinzipiell keine Bilder von Frauen drucke.

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Entgegen einer verbreiteten Vorstellung ist man unter Hyp nose immer Herr über sich selbst. Da man nicht schläft, ist man Situation, in der man voll bewusst. Auch wenn die Empfänglichkeit für Hypnose von Mensch zu Mensch stark variiert, gilt immer: Die Voraussetzung für eine gelun ist, dass der treffende hypnotisiert werden will, dass er also an die eigene Hypnotisierbarkeit glaubt – und dass er dem Hypnotiseur ver traut. Kein Mensch kann gegen den eigenen Willen hypnotisiert werden, und kein Hypnotiseur kann jemanden dazu bringen, Dinge zu tun, die der Betreffende moralisch ablehnt.

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Als Erstes würden wohl andere unsere Nähe meiden. Nach etwa einer Woche bilden sich Pilze, Bakterien und Parasitenstämme auf unserer Haut. Spätestens nach ein bis zwei Monaten müssen wir uns häufig kratzen; dabei entstehen Wunden, die es gefährlichen Bakterien wie Staphylokokken lichen, in unseren Körper einzudringen – womöglich mit tödlichen Folgen. Napoleons Russland Armee verlor mehr Soldaten durch Fieber als durch den Feind. Die beim Rückzugüberstürzt Fliehenden hatten kaum Zeit, sich in kalten Flüssen zu waschen. Ihre Kleidung zerschliss, als Ersatz dienten dreckige Män tel und Schuhe von Gefallenen. Ideale Bedingungen für die Ausbreitung von Läusen und Bakterien, die Fleck und Schützengrabenfieber übertrugen.

MICHAELA KROBOTH,WIEN

Bewegte Uhren gehen langsamer – auch auf dem Laufband? Albert Einstein hat in der Speziellen Relativitätstheorie die Zeitdilatation beschrieben (Dilatation= Ausdehnung). Sein Gedankenexperiment: EinAstronaut, der mit einem schnellen Raumschiff die Erde verlässt und zurückkommt, ist weniger gealtert als sein zu Hause gebliebener Zwillingsbruder.Für den Astronauten vergeht die Zeit also langsamer. Die Uhr eines Läufers auf dem Laufband (und sei er noch so schnell) geht aber unverändert: Er bleibt ja an Ort und Stelle.

FOTOS:AKG-IMAGES, GETTYIMAGES,DPA PICTURE-ALLIANCE, ALAMY,PRIVAT

Ist Hypnose wider Willen möglich?

Was würde passieren, wenn wir uns nicht mehr waschen?

Warum sagt man »du treulose Tomate «?

Warum zerbrachen Dino-Eier nicht beim Brüten? Wie alle Reptilien legten die Dinosaurier Eier, die durch Wärme reifen mussten. Um sich nicht mit ihrem tonnenschweren Gewicht auf die fragilen Nachkommen zu setzen, buddelten sie die Eier in Sand ein und ließen sie von der Bodenwärme ausbrüten. Oviraptoren – eine vogelähnliche Saurier art – brüteten ihre Eier selbst aus. Die hielten dem Gewicht kleinerer Tiere stand, doch große, schwere Exemplare mussten einen Trickanwenden: Sie legten die Eier ringförmig ab, mit freier Mitte. Aufden freien Platz konnten sie sich setzen, ohne ihre Jungen zu gefährden. Dennoch bekamen die am Rand liegenden Eier genug Wärme ab. Das weiß man, weil der GeologeKohei Tanaka von der kanadischen Universität Calgary ein im chinesischen Teilder Wüste Gobi entdecktes Nest mit versteinerten Oviraptor Eiern untersucht hat.

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Gibt es heute noch Kelten? S.24

GESUNDHEIT, PSYCHE,FITNESS

Konnten die

Menschen früher

mehr ab?

Wovor schützt uns der Van-Allen-Gürtel? S.51

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NDE SPANNE FRAGEN

Freunde, die sich lange nicht gemeldet haben, oder abtrünnige Geliebte müssen sich gefallen lassen, mit »du treulose Tomate!« angeredet zu werden. Diese Be zeichnung stammt angeblich aus dem Ersten Weltkrieg – einer Zeit, in der man Völkeroft nach ihren Essgewohnheiten titulierte. So wurden aus den Deutschen die »Krauts« und aus den Franzosen die »Froschfresser«. Alstypisch italienisch galten damals Tomaten, die in Deutschland wegen des kälteren Klimaskaum anzubauen waren. Italien,das am Anfang des Kriegs noch mit Deutschland ver bündet war, hielt sich zunächst aus den kriegerischen setzungen heraus. Im Jahr 1916 aber erklärten sich die Südeuropäer zum Gegner Deutschlands. Und so wurde der untreue Freund Italien mit seiner Leibspeise gleichgesetzt. Die Rede von den »treulosen To maten« war geboren.

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FORSCHUNG •MIKROBIOLOGIE

DER FEIND meines Feindes …

…ist mein Freund. Zehntausende Menschen sterben jährlich an Infektionen,bei denen Antibiotikanicht mehr wirken. Dabei gibt es Viren,die Bakterien killen– todsicher. Warum kommen sie kaum zum Einsatz?

ls Ropen kaum noch laufen kann, planen sie seinen Tod. Eine eigentlich harmlose Infektion am Fuß hat sich über Monate verschlimmert und im Körper ausgebreitet. DieEntzündung ist trotz aller Behandlungsversuche nicht zu stoppen – auch Antibiotika helfen nicht. Herbst 2016, in wenigen Tagen soll der

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28-jährige Nashornbulle eingeschläfert werden. Da liest eine Mitarbeiterin des Tiergartens Nürnberg einen Zeitungsartikel, in dem es um Bakteriophagen geht und um deren Erforschung an einem Institut in Braunschweig. Bakteriophagen, oft nur kurz Phagen genannt, sind Viren, die Bakterien töten können. Das Braunschweiger Institut heißt Leibniz-

Institut DSMZ;die Buchstaben stehen für »Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen«. Die Mitarbeiterin des Nürnberger Zoosgreift zum Telefonhörer und ruft in Braunschweig an. Man habe da ein Panzernashorn, sagt sie. Wundinfektion, Behandlung unmöglich, Todwahrscheinlich. Habe da vielleicht jemand eine Idee?

ILLUSTRATION: SCIENCEPHOTOLIBRARY

TEXT:PHILIPPKOHLHÖFER

Wie feindliche Raumschiffe: Viren landen auf der Oberfläche einer Bakterie, um sie unter ihre Kontrolle zu bringen.

FORSCHUNG •MIKROBIOLOGIE Kopf AufbAu eines phAgen

Christine Rohde hat eine. Die Mikrobiologin gehört zu den führenden Experten für Phagen und erforscht mit ihrem Team DSMZ deren Einsatz gegen multiresistente Bakterien – jene gefährlichen Erreger, gegen die eine Vielzahlvon Antibiotikawir kungslos ist. Und ihr Archiv ist nicht gerade klein: Mehr als 27000 Bakterienstämme lagern in Braunschweig, rund schiedene Pflanzenviren, 4000 Pilzstämme, auch Zellen von Tie ren und Menschen.

Hals (Collar) Injektionsapparat Beine (Schwanzfibern)

Stacheln (Spikes)

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1 Der Phage dockt auf der Bakterienoberfläche an.

Die Bakterie platzt, Phagen werden frei gesetzt.

R

Gezielter Angriff 5 Aus den Bausteinen entstehen neue Phagen.

200 Nanometer oder 0,0002 Millimetergroß ist ein Phagen-Virus. Und damit viel kleiner als die von ihm attackierte Bakterie. Bevor sie zugrunde geht, wird sie gezwungen, neue Phagen zu produzieren.

2 Er injiziert seine Erbinformationen.

4

3 Die DNAproduziert Phagen-Bausteine.

ohdes Forschung wäre Jahren noch belächelt worden. Denn viele Jahre lang konnten die Ärzte bei der Behandlung von riellen Infektionen sicher sein, dass Antibiotika dem Patienten zuverlässig helfen. Doch immer häufiger erweisen sich diese Waf fen, die in die Funktionsabläu Bakterienzellen eingrei stumpf. Deshalb sterben weltweit nach Angaben der Welt gesundheitsorganisation WHO jährlich rund 700000 Menschen, etwa 25 in Europa und mehr als 5000 in Deutschland. Schon vor Jahren prophezeite der stellvertretende WHODirek tor Keiji Fukuda: »Auchgewöhn liche Infektionen und kleine Wunden, die jahrzehntelang be handelbar waren, könnten wie der zur tödlichen Gefahr wer den.« Ein aufgeschlagenes Knie oder eine Schnittwunde vom Kü chenmesser könnten dann die Todesursache sein. Seit jeher leben Bakterien ganz nach dem Motto: »Wasmich

Die DNAdes Phagen vermehrt sich.

Bakterien im Labor: MRSAsteht für multi resistenter Staphylo coccus aureus – im Volksmund auch »Krankenhauskeim« genannt.

INFOGRAFIK: SHUTTERSTOCK; FOTOS:VISUM,CLAUDIUS SCHULZE(2), AKGIMAGES

DNA(Nukleinsäure)

nicht umbringt, macht mich härter.« Wenn es ihnen gelingt, einen Angriff von Medikamen Wahrscheinlichkeit, dass sie in

derstandsfähig, werden. Das ge schieht zum Beispiel, wenn Patienten Antibiotika zu früh ab setzen, sodass ein Teil der Bakte rien überlebt. Diese passen sich an den medikamentösen Gegner an und sind fortan schwerer zu bekämpfen. Resistenzen können auch entstehen, wenn Breitband An tibiotika ungezielt eine Vielzahl von Bakterienstämmen angrei fen, ein derartiger Schrotflinten Ansatz hinterlässt immer einige lebende Bakterienstämme. Auch wenn Ärzte Antibiotika ohne sinnvollen Anlass verschreiben, zum Beispiel bei Bronchitis oder anderen Virus erkrankungen, steigt die Resistenzgefahr. Oder wenn Antibiotika aus der Tier mast in die Nahrungskette des Menschen gelangen. In all diesen Fällen können sich bei den Bakte rien genetische Veränderungen durchsetzen, die sie künftig vor der zerstörerischen Wirkung der Antibiotika schützen. Immer

Eine Laborantin des Eliava-Instituts in Tiflis (Georgien) füllt PhagenProdukte in Ampullen (o.); sie werden in Kühlregalen gelagert (u.). Rechts der Phagen-Entdecker Félix d’Hérelle (1873-1949).

In Indien und Russland gibt es bereits ganze Landstriche, in de nen Tuberkulose Bakterien selbst gegen sogenannte Reserve Anti biotika immun sind. Diese Medi kamente haben mehr Nebenwir kungen als normale Antibiotika und gelten im Kampf gegen bak terielle Erreger als letzte Vertei digungslinie. Das Problem der Antibiotika Resistenzen ist in zwischen so groß geworden, dass im September 2016 sogar am Rande der UNVollversammlung in New York eine weltweite Stra tegie dagegen diskutiert wurde.

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ältesten Lebewesen der Erde, im Laufe der Evolution haben sie zahlreiche Überlebenstricks ent wickelt. Sie verändern ihre Struk

och nach Ansicht eini

längst: Bakteriophagen! Sie befallen ausschließlich Zellen von Bakterien und können dem Menschen nicht gefährlich wer den – obwohl es Viren sind. Und anders als Antibiotika greifen sie

mehr an sie binden können. dass das Antibiotikum aus tibiotika inaktiv machen. Sie verändern die Durchlässigkeit ihrer Zellmembran, sodass eine geringere Menge des Antibioti kums eindringen kann. Sie bil den »Rauswerfer« fluxpumpen), die dafür sorgen,

wird. Und sie produzieren jene Proteine im Übermaß, zu deren Bekämpfung das Antibiotikum eingesetzt wurde, sodass die Bak terienzelle schließlich doch wei ter funktioniert.

rienart an – nützliche Bakterien, zum Beispiel im Darm, bleiben dagegen erhalten. Wie ein kleines Raumschiff, das an einer großen Weltraum station andockt, heftet sich so ein kleiner Phage an die Zellwand

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Cholerabakterien: Gegen sie wurden nach dem Ersten Weltkrieg die ersten Antibiotika entwickelt.

iesen Mechanismus für den Menschen zu nutzen ist keine neue Idee. Vor genau 100 Jahren entdeckte ihn der kanadische MikrobiologeFélix d’Hérelle in Paris. ZweiJahre später behandelte er fünf an der Ruhr erkrankte Kinder mit Phagen. Sie überlebten allesamt. In Paris freundete sich d’Hérelle mit dem georgischen Mediziner Georgi Eliavaan und gründete 1933 mit ihm in Georgiens Hauptstadt Tiflis ein Institut für Phagenforschung. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte der Westenzunehmend auf die einfach herzustellenden Antibiotika – nur die Sowjetunion, zu der Georgien gehörte, forschte weiter in großem Stil an den Bakteriophagen. Im Institut in Tiflis, das noch heute existiert. »Unsere Phagen helfen meist allen, die sie brauchen«, sagt die Mikrobiologin Mzia Kutateladze. Seit 1987arbeitet sie am EliavaInstitut für Mikrobiologie und Virologie. Auf wissenschaftliche Studien, sagt sie, sei in den Jahrzehnten der Forschung in Tiflis kein großer Wert gelegt worden. Schließlich habe man ja den Menschen direkt helfen können. Und die wenigen Studien in ihrer Bibliothek seien nicht in der Wissenschaftssprache Englisch verfasst worden, sondern in Rus-

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Kleine Bakterien – große Seuchen Neben Virus-Epidemien (z. B.Grippe,Aids, Pocken) gibt es nicht weniger gefährliche Krankheiten,die von Bakterien ausgelöst werden. Sobald sie mehrere Länder betreffen, spricht man von einer »Pandemie«. CHOLERA Wann: seit 1817,bis heute Wo: weltweit Todesopfer: mehrere Hunderttausend Erreger: Vibriocholerae Die Ansteckung mit Cholerabakterien geschieht meist durch Trinkwasser,das mit Fäkalienverschmutzt ist. PEST Wann: 1348-1350 Wo: Europa Todesopfer: mehr als 20 Mio. Erreger: Yersiniapestis Der »Schwarze Tod« raffte ein Drittel der Bevölkerungdahin. TYPHUS Wann: 19. Jahrhundert, bis heute Wo: weltweit,vor allem Asien Todesopfer: jährlichca. 200 000 Erreger: Salmonellen Die Krankheitwird von Mensch zu Mensch übertragen (Essen, Schmierinfektionen). TUBERKULOSE Wann: überwiegend 19.Jahrhundert Wo: weltweit Todesopfer: mehrere Millionen Erreger: verschiedene Mykobakterien Die »Schwindsucht« oder »Weiße Pest« ist so alt wie die Menschheit. Noch heute fordert sie viele Tote (z.B. Indien,China).

sisch – und damit für westliche Forscher praktisch nicht existent. Gemessen an westlichen Kriterien hat eine Therapie mit Phagen – so vielversprechend sie auch sein mag – derzeit bei uns keine Chance. Denn um ein Medikament in Deutschland oder in den USAzuzulassen, muss in einer Studie sein Wirkmechanismus dargelegt werden. Zudem muss der Produzent die Unbedenklichkeit des Arzneimittels beweisen. Aber wie die Viren mit den Bakterien interagieren, weiß im Detail niemand. Und weil ein Virus immer mutieren kann und sich im Zweifelsfalldie Erkrankung dadurch verschlimmern könnte, kann niemand die Unbedenklichkeit garantieren. hagen sind jeweils an Bakterien angepasst und nur auf sie zugeschnitten. Um ein Präparat herstellen zu können, das zuverlässig hilft, muss man den zu bekämpfenden Erreger bis hinunter zum Subtyp genau kennen. Das Problem lässt sich oft mit einem Mix aus verschiedenen Phagen lösen – aber in diesem Fall Wirkmechanismus noch schwerer darzulegen. Einen solchen Phagen-Mix hatte Christine Rohde privat in einer Apotheke in Tiflis gekauft, als sie bei einer Forschungsbesuchte. In dem 3,7-Millionen-Einwohner-Land am Schwarzen Meer haben die Ärzte bis heute die Phagen-Therapie nicht komplett durch Antibiotika ersetzt, entsprechend groß sind hier die Erfahrungen. Und viele Patienten schwören auf die Behandlung. Umgerechnet zehn Euro kostet sie Georgier, für Ausländer wird auf

P

ILLUSTRATION: GETTYIMAGES,BPK;FOTOS:CLAUDIUS SCHULZE(4)

der Bakterie. Er schießt seine eigenen Erbinformationen in sie hinein und übernimmt damit Die Bakterie produziert nun lauter neue Phagen. So viele, dass sie platzt und dadurch scharenweise PhagenNachwuchs freisetzt. Und die vielen neuen Phagen gehen dann erneut an ihr zerstörerisches Werk. Das geht so lange, bis alle Bakterien getötet sind.

FORSCHUNG •MIKROBIOLOGIE

Oben: grün leuchtendes Elektronenmikroskop im georgischen Eliava-Institut (links seine wissen schaftliche Leiterin Mzia Kutateladze). Unten: Zwei Forscher des Braunschweiger Instituts DSMZent nehmen einem Klärwerksbecken eine Bakterienpro be. Rechts: Nur selten legen Ärzte in Deutschland Phagen-Verbände an (hier im KlinikumHildesheim).

aufgerundet. Von den Patienten wird ein Abstrich genommen, dieser bildet dann die Basiseiner Bakterienkultur. Dann wird ge sucht, welche Viren die Bakterien vernichten könnten: dene Phagen Proben werden zu gegeben, da nach wird gewartet. Hellt sich die trübe Suppe in der Schaleauf, hat »Natürlich funktio niert es«, sagt Mzia Kutateladze. »Hat es ja immer schon.« Jede noch so einfache Apo theke in Georgien hat jene Präpa rate zur Verfügung,die bestimm te Phagen effizient kombinieren: in Salben, Hustensaft und Tablet ten. Esgibt selbst Tampons, die in Phagen Lösung getaucht sind. In Deutschland dagegen wird es in absehbarer Zeit vermutlich keine Phagen Präparate auf dem Markt geben. Was nicht heißt,

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Phagen-Familien In der internationalen Klassifizierunggibt es unterschiedliche Familien von Bakteriophagen. Eines haben sie alle gemeinsam: Ihre Namen enden auf »-viridae«.

dass sie verboten sind. Benutzen darf man sie – auf eigene Kosten und eigene Gefahr. Wenn man einen Arzt findet, der schon mal davon gehört hat. Und wenn man dann auch noch Phagen besorgen kann. Zum Beispielin Tiflis. Dort wehen auf dem mit Si cherheitstüren und Stahlbeton geschützten Institutsgebäude zwei Fahnen –die der USAund die der EU. Denn eine arbeit mit dem Westen gibt es

durchaus: Die DTRA,die Defense Threat Reduction Agency,ist eine dem US rium angegliederte Behörde. Sie interessiert sich für Forschung zum Schutzvor biologischenWaf fen. Denn auch die waffenfähi gen Erreger Milzbrand und Pest, Typhus und Cholera sind Bakte rien. Und könnten durch Bakte riophagen bekämpft werden. nd die Fahne der EU? symbolisiert die Zu sammenarbeit mit dem Leibniz Institut DSMZin Braun schweig. Auch hier wird zurzeit viel geforscht. Christine Rohde glaubt, dass die Phagen bald ein Comeback erleben werden. Die erfolgreiche Behandlung von Ro pen, dem Nashorn im Nürnber ger Zoo,ist ein Indiz dafür. Schon nach der ersten An wendung ging es dem Bullen besser. Anschließend wurde in Georgien Phagen Nachschub für eine zweite und dritte Behand lungsrunde bestellt. »Dass der Cocktail so gut anschlägt, über traf meine Erwartungen«, sagt Christine Rohde. Nie zuvor war ein wildes Tier mit Phagen behandelt worden. »Die Chancen waren nicht groß«, erinnert sich Rohde, »ich hatte dieses Standardpräparat.« Ropen geht es heute gut, er kann längst wieder laufen. Und in die sen Tagensoll er Vaterwerden.

U

häufiger bleiben Antibiotikagegen Bakterien wirkungslos. ·Immer Eine vielversprechende Alternative sind Bakteriophagen (wörtlich: Als Kindspielte Philipp Kohlhöfer oft mit Tieren auf einem Bauernhof – bis er in ein Güllebecken fiel. Seither weiß er: Viren und Bakterien gehören zum Leben.

»Bakterienfresser«). Hierbei handelt es sich um Viren. früher wurde mit Phagen experimentiert, heute geschieht ·Schon das vor allem in Georgien. es an wissenschaftlichen Studien mangelt, sind Phagen·Da Therapien in Westeuropa die Ausnahme. Erfolge gibt es aber.

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FORSCHUNG •WEINEN

B A S A L ET R Ä N E Urspr Ung: einige Minuten in den Ventilator gestarrt WirkUng: Schleim und Öle verhindern Austrocknen der Hornhaut

REFLEXTRÄNE Urspr Ung: Zwiebeln geschnitten WirkUng: Tränen spülen ätzende Flüssigkeiten oder Fremdkörper aus

HEUL Warum weinen wir? Um diese Frage endlich zu beantworten, vergießen Menschen im Dienste der Wissenschaft Ströme von Tränen TEXT:NORASAAGER

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FOTOS:MAURICE MIKKERS/MICROGRAPHSTORIES.COM (3)

DOCH!

E M O T I O N A L ET R Ä N E Urspr Ung: psychische oder physische Schmerzen WirkUng: sehr unterschiedlich

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as Leben ist schön«: ein Vater, der seinem Sohn vorflunkert, das Leben im Konzentrationslager sei ein Ver steckspiel. »Hachiko«:ein Hund, der nach dem Tod seines Herr chens jeden Tagam Bahnhof auf dessen Rückkehr wartet. »Die letzte Kriegerin«: eine kaputte Familie, deren Tochter sich um bringt, nachdem sie vom Freund des Vatersvergewaltigt wurde. Willkommen in Ad hoets’ Videothek der Tränen. Psychologe ist führender Experte auf dem Gebiet des Weinens. Regelmäßig lädt er Probanden in sein Labor an der Universität Tilburg ein,

Maurice Mikkers fing Tränen auf und ließ enthaltene Salze und Biomoleküle kristallisieren. Seine Bilder zeigen die Strukturen unter dem Mikroskop. Ob es chemische Unterschiede zwischen Reflextränen und emotionalen Tränen gibt, ist unklar.

um ihre Reaktion auf traurige Filmefestzuhalten. Der Autor des Buchs »Why Only Humans Weep« will damit einem Mysterium auf die Spur kommen: Warum vergießt der Mensch – und nur der Mensch – emotionale Tränen? Der bedarf ist groß, die Faktenlage dünn. Denn die Wissenschaftbe handelte das Weinen lange Zeit stiefmütterlich. Psychologenin teressierten sich eher für die zugrunde liegenden Gefühle als für ihre schnodderige tation. Dabei weinen wir in einer verwirrenden Vielzahl von Ge mütslagen: Trauer, Wut,Schmerz und Angst können die Schleusen

Weinen auf Knopfdruck Müssen Schauspieler Tränen vergießen, durchleben sie im Geiste häufig ein besonders emotionales Erlebnis aus ihrer Vergangenheit. Oder sie schummeln, indem sie sich ein bisschen Pfefferminzöl unter den Wimpernkranz tupfen.

ebenso öffnen wie Frust, Erleich terung oder Rührung. Der Mensch produziert drei Arten von Tränen. Basale Tränen enthalten Schleim und Öle, die ein Austrocknen der Hornhaut verhindern; dazu Proteine wie Lysozym,das Bakterien angreift, und Nervenwachstumsfaktor, der die Heilung fördert. Bis zu fünf Mikroliter (fünf Tausendstel eines Milliliters) basale Tränen sondern unsere Tränendrüsen in jeder wachen Minute ab. Reflex tränen vergießen wir bei tionen, etwa wenn uns ein Insekt ins Augefliegt oder wir Zwiebeln schneiden. Siespülen Fremdkör per und ätzende Substanzen

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Ad Vingerhoets, Tränenforscher

weg. Besonders reichlich flie Tränen: Bis zu pro Minute pro duzieren wir bei hemmungslo sem Schluchzen. Der Grund der Tränen könn te sogar ihre Zusammensetzung beeinflussen. Die meistzitierte Untersuchung dazu stammt von 1981. Der Biochemiker William H. FreyII stellte fest, dass der Pro teingehalt emotionaler Tränen um ein Viertel höher lag als der von Reflextränen. Sie enthielten außerdem mehr Hormone, von denen eines eine Rolle in der Schmerzwahrnehmung spielt.

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spenden. Angreifern hingegen signalisiert sie, dass vom Weinen den keine Gefahr ausgeht. Viel leicht, so spekuliert Vingerhoets, sind Tränen des Mitgefühls und der Rührung sogar Ausdruck un serer moralischen Maßstäbe.

SICHTBARESLEID

Krokodilstränen Der Mythos,dass Krokodilenach dem Fressen um ihre (menschlichen) Opfer weinen, entstand im 13.Jahrhundert. In Wahrheit können die Tiere gar keine Kullertränenprodu zieren.

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1 Israelische Forscher sammelten Tränen weinender Frauen … 2 …und tränkten damit Pads, die sie männlichen Probanden unter die Nase klebten.

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Doch wozu überhaupt Tränen – würde es ein klägliches Jammern nicht auch tun? Eine Erklärung lautet, dass optische Signale im Laufe der menschlichen tion immer wichtiger wurden, während Geräusche und Gerü che an Bedeutung verloren. Trä nen wären dann ein sichtbares Zeichen für (meist) aufrichtige Empfindungen. Vingerhoets und sein Team arbeiten gerade eine neue Theorie aus: Emotionale Tränen entwickelten sich aus dem Schreien von Säuglingen nach der Zuwendung der Mutter. »WennMenschenbabysschreien, sind ihre Augen oft geschlossen. Und im Gegensatz zu anderen Arten sind viele Gesichtsmuskeln beteiligt. Bei Menschen kann Schreien Druck auf die Tränen drüsen ausüben – was auch feuchte Augenbeim Gähnen, La chen oder Brechen erklärt.« Ein Team um Shani Gelstein und Noam Sobel vom Weizmann Institute of Science in Israel veröffentlichte 2011in der Fach zeitschrift »Science«Ergebnisse, die nahelegen, dass Tränen sogar chemische Botenstoffe enthal ten. Die Forscher klebten männ lichen Versuchspersonen Pads unter die Nase, die einmal mit weiblichen Tränen, einmal mit Salzwassergetränkt waren. Dann baten sie die Männer, die traktivität von Frauengesichtern zu bewerten. Das Ergebnis: Wer Frauentränen schnüffelt, dem vergeht die Lust. Die Probanden

FOTOS:HOLLANDSE HOOGTE/LAIF, ALAMY,NOAMSOBEL/SCIENCE/AAAS; ILLUSTRATION: SHUTTERSTOCK

»Ich frage mich: Sind Tränen der Rührung und des Mitgefühls Teil unseres moralischen Kompasses? «

Doch als Vingerhoets versuchte, die Studie zu replizieren, konnte er keine chemischen Unterschie de zwischen emotionalen und Reflextränen feststellen. Derzeit entwickelt er einen neuen Ver suchsaufbau, um die gültig zu klären, denn »es gibt eine Reihe methodologischer Schwierigkeiten«. Ein Problem ist, dass die tion bei jedem Menschen je nach Tagund Uhrzeit lich verändert sich die Zusam mensetzung der Tränen sogar im Laufe des Weinens. Selbst die Art der Probenent nahme – Filterpa pier oder beeinflusst die Messung, wie eine Studie des Mundchirurgen Robert Stuchell zeigte. William H. Frey II vermutete, dass emotionale Tränen stanzen ausspülen, die sich bei Stress im Körper anreichern. Andere Wissenschaftler haben vorgeschlagen, dass Weinen uns hilft, ein physiologisches oder emotionales Gleichgewicht wie derzuerlangen. Weitere Hypo thesen sehen soziale Mechanis men am Werk. Denn wir weinen meist in Situationen, in denen wir überwältigt sind: unfähig zu handeln oder unsere Gefühle auf andere Art und Weise zu kulieren. Unsere offensichtliche Hilflosigkeit veranlasst Partner, Freunde und Familie, Hilfe zu

FORSCHUNG •WEINEN

Oberes Tränenpünktchen Tränendrüse Oberes Tränenröhrchen

Wie wir weinen DER TRÄNENAPPARATÜber dem oberen Augenlidsitzt die Tränendrüse. Sie produziert Biomoleküleund sondert Salze ab, die Wasser aus dem umliegenden Gewebe ziehen. Das fertige Gemisch wird über Ausführgänge ins Auge geleitet. Mitjedem Wimpernschlag verteilen wir es auf der Hornhaut. Jener Teilder Flüssigkeit, der nicht verdunstet, fließt über die Tränenröhrchen und den Tränensack in die Nase ab. Produzieren die Tränendrüsen zu vielFeuchtigkeit,laufen unsere Augen buchstäblich über.

fanden die gezeigten Damen weniger hübsch und hatten niedrigere Testosteronwerte. Dient das Weinen der zwischenmenschlichen Kommunikation oder dem inneren Gleichgewicht? Die israelische Studie spricht ebenso für die erste These wie die Tatsache, dass wir uns nach dem Flennen selten besser fühlen – auch wenn viele Menschen an die reinigende Wirkung des Heulkrampfs glauben. Lauren Bylsma von der University of Pittsburgh wertete Tagebucheinträge von 1004 Frauen aus, die über zwei Monate hinweg jeden Tagnotierten, ob und unter welchen Umständen sie geweint hatten und wie sie sich danach fühlten. In 70 Prozent Fälle verbesserten Tränen nicht. Besonders schlecht standen die Chancen bei Menschen, die depressiv oder bereits vorher gedrückter Stimmung waren. Wer vor großem Publikum die Fassung verlor, schämte sich oft; wer aus Hoff-

Tränensack

Unteres Tränen pünktchen

nungslosigkeit oder aus Kummer über das Leid anderer weinte, blieb niedergeschlagen. Tränen halfen hingegen, wenn sie neue Einsichten brachten oder die Situation verbesserten. Auch wer von einem Menschen getröstet wurde, der ihm nahestand, fühlte sich anschließend besser.

TRÄNENPER POST Um die Wissenschaft des Weinens voranzutreiben, plant der Neurobiologe Noam Sobel nun, eine Tränen-Biobank einzurichten. Wer zu Forschungszwecken Tränen braucht, soll sie dort per Post ordern können. Sobel will die unterschätzte Körperflüssigkeit – übrigens die einzige, vor der wir uns nicht ekeln – sammeln und mit flüssigem Stickstoff blitzgefrieren, um ihre chemische Zusammensetzung zu erhalten. Sie variiert von Mensch zu Mensch leicht und hängt unter anderem von Alter, Fitness, Gesundheitszustand und Müdigkeitslevel ab.

Tränennasengang

Unteres Tränen röhrchen

Momentan liefert sich Sobel mit Vingerhoets einen öffentlichen Schlagabtausch zur Reproduzierbarkeit seiner »Science«-Studie: Der Niederländer sagt, er könne in ähnlichen Versuchen keinen Effekt auf die männliche Libider Israeli argumentiert, Vingerhoets seien Fehler bei Aufbau und Auswertung unterlaufen. Vielleichtkönnten die beiden ihre Differenzen bei einem Filmabend in der Videothek der Tränen klären –und dabei die verbindende Wirkung des gemeinsamen Weinens testen.

Wer weint wann? Frauen weinen zweibis fünfmal im Monat, Männer etwa einmal alle zwei Monate. Beide Geschlechter sind abends näher am Wasser gebaut: Um 22 Uhr weinen wir fünfmal häufiger als um acht Uhr morgens.

gibt drei Arten von Tränen. Sie ·Es halten das Auge feucht, spülen

· ·

Fremdkörper weg oder fließen bei starken Gefühlen. Warum wir weinen, ist ungeklärt. Eine Theorie besagt, dass Tränen anderen Menschen Hilfsbedürftigkeit signalisieren. Besser fühlen wir uns nach dem Tränenvergießen nur selten – etwa, wenn uns jemand tröstet.

Nora Saager weint mehr, je älter sie wird. Inzwischen gibt es kaum eine Schnulze, die sie ohne Taschentuch durchsteht. Wo soll das noch hinführen?

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VISIONEN•ÖKOLOGIE

Sibirische Tundra im Tscherskigebirge: Verschwand hier die Steppe, weil sich das Klima änderte? Oder weil Menschen das Mammut ausrotteten?

»Manche Menschen züchten Blumen.

Ich züchte ein In Sibirien willein Forscher mit einem »Pleistozän-Park « verhindern, dass der Boden taut und riesige Mengen des KlimakillersMethan freisetzt. Besuch bei einem, der Recht behalten will TEXT:

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ROLANDSCHULZ

FOTOS:EASTBLOCKWORLD.COM, CHRISLINDER

Ökosystem « Ein Gesicht wie eine Landschaft: Sergej Zimow forscht seit 40 Jahren im Perma frost und verfolgt seinen Lebenstraum, den »Pleistozän-Park«.

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VISIONEN•ÖKOLOGIE

Chersky St. Petersburg RUSSLAND

Kasachstan Mongolei

china

Sergej Zimow zeigt, dass in diesem sibirischen See direkt unter der Eisschicht eine Methanblase liegt.

W

ind peitscht in sein Gesicht, Kälte kriecht ihm Glieder, doch SergejZimow ist glücklich. Er steht auf einer Kuppe am Rand seines Landes, 16 Hektar Tundra im NorSo weit sein Auge reicht: Schnee. In einem Fluss der Ferne treiben verkeilte Eisschollen. Die Weite aus Weiß ist immer wieder von Pflanzen durchbrochen: Flechten, Moose, dazwischen Grüppchen kümmerlicher Sträucher und Lärchen. Zimow will diese Tundra ein Abbild der Steppen des Pleistozäns verwandeln – einer vor knapp 12000 Jahren verschwundenen Landschaft. Damals, am Ende der letzten Eiszeit, grasten hier in Sibirien Mammuts. Heute hält Zimow Elche, Rentiere und Pferde in einem ebenso ungewöhnlichen wie umstrittenen Experiment. »Ich werde hier überall Steppe erzeugen«, sagt er und deutet zum Horizont. »Manche Menschen züchten Blumen. Ich züchte ein Ökosystem.« Der Geophysiker ist eine eindrückliche Erscheinung. Ein wilder Bart wuchert über sein Gesicht, sein Haar ist zu einem Zopf gebunden. Schwielige Hände. Stämmige Statur. Tarnhose, Stiefel, schwere Joppe. Er ist 61Jahre alt, forscht seit fast 40 Jahren an der Grenze zur Arktis,kann nicht lassen vom Experiment seines Lebens: dem »Pleistozän-Park«. Den Namen wählte Zimowin Anspielung auf den Film »Jurassic Park«,in dem Wissenschaftler die Welt des Juras wiedererwe-

cken, mitsamt der Dinosaurier. Sergej Zimow versucht sich an einer ähnlichen Idee: Er will ausgestorbenes Ökosystem wiederauferstehen lassen – die eiszeitlichen Grassteppen jener Erdepoche, in der erstmals der Mensch auftrat. Er hofft, dadurch den Klimawandel abschwächen zu können: Ein reines Grasden Permafrostboden besser isolieren als die vorherrschende Tundra mit ihren Flechten, Moosen und Zwergsträuchern, sein Tauen verzögern. Denn pro Jahrzehnt wird ein Grad wärmer, zurdie Bodentemperatur im Schnitt bei Taut der Boden in einer kritischen Tiefe, entweicht der darin gebundene Klimakiller Methan. Nur zwei Dinge sind Zimow zufolge notwendig, um die Steppen des Pleistozäns wiederzubeleben: Zeit und zehn Tonnen Tiere pro Quadratkilometer. Die Idee: Massen von Pflanzenfressern fördern durch ihr Hufgetrampel, ihr Grasen und ihre Exkremente das Gedeihen schnell wachsender Gräser, während sie gleichzeitig den Bewuchs durch Flechten, Sträucher und Bäume hemmen. »Lasses mich zeigen«, sagt Zimow und stapft auf eine Schneise in einem Lärchenwäldchen zu. Er ist dort mit einem Panzer durch das Gehölz gebrochen, um den Einfluss der einst hier lebenden Mammuts zu simulieren. Je näher wir der Schneise kommen, desto mehr Boden ist sichtbar, desto mehr Gras lugt aus dem Schnee. Ander Bresche angekommen, stehen wir bis zur Hüfte in Gräsern: der Mammut-Effekt. Zimow fällt auf die Knie, wühlt in den Wogenseiner Gräser. Dann reicht er eine Garbe: »Das ist der Beweis.« Er

FOTOS:CHRISLINDER(2), DPA PICTURE-ALLIANCE, AKGIMAGES

Oben: Zur Forschungsstation auf einem Hausboot gehört auch ein Kutter. Mitte: Der Pleistozän-Park entsteht in Nordostsibirien.

Wenn der PermafrostBoden in Sibirien auftaut, entstehen neue Landschaften – so wie dieser See in der Nähe des Pleistozän-Parks.

lacht. Er kennt diesen Blick,sieht ihn oft in den Gesichtern, wenn er vom Pleistozän-Park spricht. Skepsis. Unglaube. Zweifel. Er mag das. Es spornt ihn an. Zimows Versuchsgelände liegt eine halbe Tagesreise südlich der Siedlung Tscherski in Jakutien: 16000 Hektar Tundra entlang des Flusses Kolyma, der sich hier in sein Delta auffächert. Zu Zeiten der Sowjetunion war der Ort gefürchtet: VonTscherski aus versorgte man die Gulags, flussaufwärts gelegene Straflager im Gebirge, in denen die Gefangenen nach Gold graben mussten. Die Temperatur sank dort so tief, dass Spucke im Flug gefror. imow wuchs auf einem Stützpunkt der sowjetischen Marine nahe Wladiwostok auf, wo sein Vater als Ingenieur für Atom-U-Bootearbeitete. Der kleine Sergej versenkte sich vollkommen in die Welt der Zahlen: Rechnungen, Statistiken, Ableitungen fesselten ihn. Bisheute, sagt er, sehe er die Welt in Gleichungen. Als er

15t

wogen einst die größten Mammuts Diese Steppenmam muts kamen in Eurasien vor und erreichten eine Schulterhöhe von bis zu 4,50 Metern. In Sibirienwar das bis zu 3,70 Meter große Wollhaarmammut verbreitet. Die letzten Tiere lebten bis 2000 v. Chr. auf der Wrangelinsel.

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Dieses MammutBaby wurde 2007 im sibirischen Perma frost gefunden. Als es vor etwa 37 000 Jahren lebte, war hier noch Steppe.

alt war, nahm ihn die Universität von Wladiwostokauf. Mit 22 akzeptierte ihn die Sowjetische Akademie der Wissenschaften als Mitglied. Er bekam den Auftrag, eine Expedition an den Amur zu führen. An diesem Grenzfluss zwischen China und Russland forschte er im Feld,drei Jahre lang. Danach durfte er seine nächste Station selbst wähTscherski. 1986, nach sechs Jahren Feldforschung, richtete er sich dort eine feste Forschungsstation ein. Als Zimow vom Pleistozän-Park zu seiner Basis zurückkehrt, ist es Abend. Sorgsam steuert er den Kutter, den er als Forschungsschiff nutzt, durch das Delta der Kolyma. Die Silhouette einer haushohen Satellitenschüssel schält sich aus der Nacht: »Ein sowjetisches Arte-

fakt. Sieht toll aus. Ist aber kaputt.« Am Ufer liegt seine Forschungsstation, die »Northeast Science Station«. Das Gelände wirkt wie ein verlassenes Heerlager: von Schnee bedeckter Schrott, ausgeweidete Fahrzeuge, Gerippe alter Gerätschaften. Hier entstand ZimowsTheorie. Er untersuchte damals den Permafrost, weil er das Gefühl hatte, etwas Weltbewegendes passiere. Seine Temperaturdaten deuteten auf eine Erwärmung des Erdreichs. Die Jahreszeiten schienen sich sachte zu verschieben. Er stach sich ins Erdreich, um die Struktur des Bodens im Permafrost zu vermessen – eine Erde, die aus Eis und Schichten gefrorener Nährstoffe besteht, genannt Yedoma.Sieschlossalles in sich ein, was starb, doch in der Kälte nicht verrotten konnte. Zimow stieß darin immer wieder auf Knochen von Mammuts, perfekt konserviert. Er kannte die gängigen Erklärungen für das Aussterben der Mammuts. Am Ende des Pleistozäns –einer durch den Wechsel

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Methanblasen

Permafrostboden Aufsteigendes Methan Methanverbindungen

Methan: Gefahr aus der Erde ÜBERJAHRTAUSENDE lagerten sich im Boden Sibiriensgiganti sche Mengen Kohlenstoff aus Verwesungsprozessen organischen Materials ab, zu einem großen Teilin Form von Methanverbindun gen. Der Dauerfrost wirktwie ein Deckel,doch sobald der Boden taut, kann das Treibhausgas Methan aus seinen Lagerstätten entweichen. In der Atmosphäre angekommen, befeuert das Gas die Klimaerwärmung.Immer wieder gibt es Pläne, Methanlager stätten umweltfreundlichzu erschließen. Der Durchbruch fehlt.

von Warm- und Kaltzeiten geprägten Erdepoche, in der in weiten Teilen der WeltSavannen und Steppen vorherrschten – kam es zu einer Zäsur: Die letzte Eiszeit dieser Epoche endete. Der Mensch tauchte verstärkt auf und nahm Einfluss auf seine Umwelt. Landschaften vergingen. Eine neue Erdepoche begann, das andauernde Holozän. Während dieses Wandels verschwanden viele Arten, darunter auch das Mammut. Warum? Viele Wissenschaftler glauben, die Klimaänderung am Ende des Pleistozäns habe zunächst die Steppen verschwinden lassen und dann die gewaltigen Pflanzenfresser, die dieses Ökosystem dominierten. Andere

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sind sicher, erst der Mensch habe die Tiere vollends ausgerottet. Zimow begann, anhand seiner Knochenfunde die Anzahl der Tiere pro Quadratkilomeberechnen. Wie gewaltig musste die Wirkung derart großer Pflanzenfresser auf Boden und Bewuchsgewesen sein? Kein Wunder, dass Mammuts in Steppen lebten, sie ließen durch ihr Grasen, ihr Trampeln, ihre Exkremente gar keinen anderen Bewuchs zu. Zimow fragte sich: Und wenn erst das Ausrotten jene Klimaänderung verstärkte, die den Übergang zum Holozän prägte? Der Forscher wollte seine Idee in einem radikalen Experiment beweisen: Wenn das Klima

beim Verschwinden der Mammuts und der Steppen, in denen sie lebten, keine Rollespielte, gab es auch keinen Grund, warum dieses Ökosystem nicht heute noch existieren könnte. Wenn seine Theorie richtig war, müsste es möglich sein, die Steppen des Pleistozäns wiederauferstehen zu lassen –er müsste nur den Eckpfeiler wieder einziehen, der ihre Existenz einst stützte: Massen von Pflanzenfressern. Mammuts. Wollnashörner. Steppenbisons. Leider alle ausgestorben. Also fing Zimowmit Pferden an. Eine Herde ließ er auf einem Gelände frei, das er im Delta abgegrenzt hatte – dem Pleistozän-Park. Ein Reinfall. Wölferissen viele Pferde, nur die zähesten überlebten. Als sich die Sowjetunion Anfang 1990 aufzulösen begann, bewarb sich Zimow auf ein Stipendium in den USA.Er kam zur rechten Zeit. Der Klimawandel wurde zu einem wichtigen Feld der Geophysik;besonders die Böden im Permafrost beunruhigten die Wissenschaft:Wennes dort zu tauen beginnt –was passiert dann mit den Massen organischen Materials, das die Kälte vor dem Ver-

Geheimnisvolles Yedoma Der Permafrostbo den entstand in der Eiszeit, Pleistozän genannt. Sie begann vor 2,6 MillionenJah ren und dauerte bis vor rund 12000 Jah ren an. In einigen Regionen reicht der auch als Yedoma bezeichnete Boden Dutzende von Metern tief. Mitzwei Prozent ist sein anteil sehr hoch.

Mangels Mammuts lässt Zimow Bisons und Moschusochsen (rechts) auf dem Versuchsgelände weiden.

VISIONEN•ÖKOLOGIE

3-D-ILLUSTRATION: AXELKOCK;KARTE:IMP;FOTOS:NIKITAZIMOW, DPA PICTURE-ALLIANCE; KARTE:123RF

Die Permafrostregion (rosa) erstreckt sich über mehr als 19 Millionen Quadratkilometer von Sibirien bis Alaska und Kanada.

rotten bewahrt hat? Die Erwärmung der Erde könnte einen Teufelskreis in Gang setzen: Je höher die Temperaturen, desto stärker taut der Permafrost, je stärker er taut, desto mehr Treibhausgase werden frei und desto höher steigt die Temperatur. Zimow etablierte sich als Spezialist für die Forschung im Permafrost. Sein Herz aber schlug für den Pleistozän-Park. 1995hatte er die Idee des Parks in einem Aufsatz vorgestellt, seitdem kämpft er. Er zäunte einen Teil des Parks ein, um ihn mit Tieren zu füllen: Er versuchte, Wapitis aus Kanada, Yaks aus der Mongolei, SaigaAntilopen aus Kasachstan zu bekommen, meist vergeblich. Er zog vor allem Elche und Rentiere auf seinem Versuchsgelände zusammen. Weil die berechnete Masse fehlte, kaufte er einen Kettenpanzer, um den Effektvon Mammuts zu simulieren: Er fuhr mit dem Panzer über Mooseund Flechten, planierte die Tundra

mit Bulldozern, legte Feuer. Das Ergebnis: Wo er die Tundra angriff, wuchs stattdessen Gras. Zimowbeobachtete die Grasnarben, die er ins Gelände zog. inzwischen die Gesamtmasse des im Permafrost gespeicherten Kohlenstoffs kalkuliert, 500 Milliarden Tonnen. Sollte diese Menge in die Atmosphäre gelangen, würde sie die Erderwärmung beschleunigen wie ein Nachbrenner. Doch Zimow glaubte, dass Gräser den Boden isolierten und damit das Tauen verzögern könnten. Weiterer Nebeneffekt: Die hellgrünen Gräser reflektieren mehr Sonnenstrahlen als eine dunkle Flora. 2005 veröffentlichte er in »Science« einen ungewöhnlichen Vorschlag:Um den Klimawandel abzuschwächen, müsse man den PermaTauen hindern – durch einen gigantischen PleistozänPark, überall im Permafrost. Ein Kracher. Alle wollten mehr von diesem Typen wissen, der behauptete, mit ein paar Bisons auf Wiesen vor der Arktis den Klimawandel bekämpfen zu können. In der Euphorie ging unter, dass Zimowkeine Daten veröffentlicht hatte, die seine Theorie stützten: Auch nach über einem Jahrzehnt war der Pleistozän-Park noch immer mehr Idee als zu wenig Tiere, zu wenig Geld. Vorallem: zu we-

Aus dem Boden und aus der Kuh Das farb- und geruchlose Methan hat die chemische Formel CH4 und ist Hauptbestandteil von Erdgas. Pro Kilogramm trägt es rund 30-mal mehr zur Klimaerwärmung bei als Kohlendioxid.Eine wesentliche Quelle: Kühe. Sie setzen bei der Verdauung große Mengen Methan frei.

Roland Schulz war beeindruckt von der eigenwilligen zimmereinrichtung des Forschers: Sergej Zimow stapelt neben seinem Bett Mammutknochen.

nig gesicherte Ergebnisse. Bis heute bemängeln Kritiker, der Park würde keinen wissenschaftlichen Kriterien genügen. Zimow lässt das kalt: »Sie sagen: ›Bohr Löcher, stell Messtürme auf –gib uns harte Daten!‹Soll ich Daten sammeln – oder mein Wissen erweitern?« Seitdem unternahm er einige Schritte: 2010 setzte er Moschusochsen im Park aus, 2011kamen Bisons und Wapitis hinzu. 2013kaufte Sergejgut 300 Kilometer südlich von Moskau 600 Hektar Land, um eine Außenstelle des Pleistozän-Parks aufzubauen: »Wild Field«, ein Wildtierreservat, in dem er seine Idee unter kontrollierten Bedingungen testen will. »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, warnt der Forscher. »An vielen Stellen in Sibirien hat bereits angefangen zu schmelzen.« Die Anzeichen dafür sieht er in Tscherski jedes Jahr, wenn der lange Winter über dem Polarkreis endet. Früher, als junger Forscher, fuhr er noch Ende Mai mit schweren Lastwagen auf den gefrorenen Flussarmen der Kolyma, die als Straßen dienten. In den vergangenen Jahren, erzählt Sergej Zimow, brach das Eis so früh wie nie zuvor. Für ihn ist es wie eine letzte Warnung: Selbst in der angestammten Domäne des ewigen Eises müssen sie jetzt mit Booten fahren.

Permafrostboden droht aufzutauen. Dann würde ·Sibiriens Methan entweichen und die Klimaerwärmung verschärfen. Zimow glaubt, dass er den Tauprozess aufhalten kann, ·Sergej indem er aus Tundra wieder Steppe macht. versucht er, den einstigen Einfluss der Mammuts auf die ·Dazu Landschaft nachzuahmen – durch Weidetiere und Panzerfahr ten. Wissenschaftliche Daten für seine Theorie fehlen bislang.

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TECHNIK SCHIFFFAHRT •

Die »Sea Hunter« der U.S. Navy: Noch stehen Männer an Deck – doch wenn die Testphase vorbei ist, wird dies das erste Schiff der Welt sein, das vollkommen führerlos fährt. Es wird von der amerikanischen Pazifikküste (Karte rechts) aus operieren.

Leinen los. Nach den autonomen Autos kommen jetzt die selbstständigen Schiffe. Das Erste soll schon 2018 auf große Fahrt gehen TEXT: HANS WILLE

Flotte ohne Besatzung: So stellt sich der britische Hersteller Rolls-Royce unbemannte Frachtschiffe der Zukunft vor.

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FOTOS:U.S. NAVY,ROLLS-ROYCE; KARTE:OPENSEA MAP

Alleine los! as könnte schiefge hen. Die »Sea Hun ter« der U.S. Navy gleitet aus einem Hafenbecken in das Fahrwasser der Bucht von San Diego, als sich von Backbord ein Ausflugsdampfer nähert, an Bord Touristen und Musiker einer Blaskapelle.Sieahnen nicht, dass sich ihr Schiff auf Kollisionskurs befindet. Ausweichen muss die »Sea Hunter«, weil sich das ande re Schiff bereits im Fahrwasser befindet, doch sie fährt autonom, ohne Kapitän. Wiewird das graue Kriegsschiff mit den drei Rümp fen reagieren? Es ist die erste Ausfahrt, die der Trimaran der U.S.Navyohne Schiffsführer unternimmt. Zur

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Not können die Männer, die bei dieser Fahrt als Beobachter an Bord sind, eingreifen, dafür hat die »Sea Hunter« einen sorischen Führerstand an Deck. Aber das will natürlich niemand. Die »Sea Hunter« (»Seejä ger«) ist der Prototyp des größten autonomen Schiffes, das ohne menschliche Hilfe über die Welt meere fahren soll. 40 Meter lang, angetrieben von zwei Maschi betankt mit 53000 Liter Diesel. Damit kann das schmal gebaute Schiff mit den beiden stabilisierenden Auslegernbis zu zehn Wochen lang allein unter wegs sein und rund 10000 See meilen, also 18500 Kilometer, zurücklegen. Das reicht locker vom US Stützpunkt Guam zu je

dem Ort der asiatischen Pazifik küste und zurück. Aber so weit ist es frühestens Mitte 2018.Solange befindet sich der unbewaffnete Prototyp noch im Dauertest in der Bucht von San Diego– bis er zuverlässig mit Radar, GPS,dem automatischen Identifikationssystem für ande und der Videokamera umgehen kann. Den Freizeitdampfer hat »Sea Hunter« rechtzeitig bemerkt. Vorbildlich ändert sie ihren Kurs. Den Männern ist Erleichterung anzusehen. Schließlich hat das Pentagon Dollar in das geizige Projekt gesteckt. Wenn das autonome Schiff im Einsatz sein wird, soll es U Boote auf

20 000 $ Warum überhaupt ein Drohnenschiff? Wenn die US-ame rikanische »Sea Hunter« U-Boote aufspürt oder Minen sucht, kostet jeder Einsatztag rund 20 000 Dollar.Ein bemanntes Schiff verschlingt bis zu 35-mal so viel– und im Ernstfallstehen Menschenleben auf dem Spiel.

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Schon heute halten auch bemannte Schiffe automatisch Kurs und fahren zuvor festgelegte Punkte ab (Karte rechts). Diese Technik ist die Grundlage für künftige autonome Schiffe. Unten rechts: ein unbemanntes Schnellboot der britischen Royal Navy bei einem Test auf der Themse

ÜBERWACHUNG Wenn ein autonomes Schiff ohne Besatzung unterwegs ist, heißt das natürlich nicht, dass es wie ein Geisterschiff vollkommen sich selbst überlassen ist. In der Leitzentrale (Bild unten: Zukunftsvision)wirdper Satellitenfunk oder bei kurzen Entfernungen über UKWkontrolliert,ob es seine zuvor in den Bordcomputer einprogram mierte Missionwie geplant erfüllt.Eine digitale Seekarte zeigt dem Operator die Position und ge plante Routen. Eine direkte Steuerung per Joystick und in Echtzeit wie bei fliegenden Drohnen ist we der möglich noch notwendig. Das Schiffempfängt Befehle (»führe Missi on 2 durch«) und liefert permanent Informationen über den eigenen Zustand. Zahlreiche Sensoren an Bord informieren die Zentrale in regelmäßigen Abständen unter anderem über Öldruck, spannungen oder eventuelle Ansammlungen von Wasser an Bord.

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spüren. Dazu gehört auch, sicher zu navigieren und die eigenen Systeme so zu managen, dass sie dauerhaft einsatzfähig bleiben, autonom auf intelligente Gegner reagieren und die internationa len Regeln der Kollisionsverhütung einhalten. Eine Grundregel lautet, dass eine Kursänderung zur Verhinderung einer Kollisionfrühzeitig erfolgen und deutlich erkennbar sein muss. Jeder Kapitän weiß das. Aber ein Computer könnte auch eine ganz langsame Kursänderung als ausreichend errechnen oder gar das Abbremsen bei gleichbleibendem Kurs. Beides wäre für den Führer des anderen

Schiffes nicht schnell genug zu erkennen und ist deshalb nicht zulässig. »Wasdie Nautiker im Gefühl haben, müssen wir Automatisierungstechniker einem solchen System erst langsam beibringen. Das ist unser größtes Problem«, sagt Martin Kurowski von der Universität Rostock. eit 2008 beschäftigt sich der Ingenieur mit un bemannten Oberflächenfahrzeugen für die zivile Seefahrt, kurz USVs (»unmanned surface vessels«)genannt. Er arbeitet eng mit der Hochschule Wismar in Warnemünde zusam-

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FOTOS:FRAUNHOFER CML,DDP IMAGES,ROLLS-ROYCE, DARPA,MIT/AMS

Wer denkt, wer lenkt?

TECHNIK•SCHIFFFAHRT

men, die künftige Kapitäne ausbildet. »Deren praktische Erfahrung ist enorm wichtig für uns Techniker«, sagt Kurowski. Sein jüngstes unbemanntes Schiff, »SMISUSV«genannt, soll Unterwasser-Roboter steuern, die zum Beispiel in der Tiefsee nach Rohstoffen suchen. Dank eines Hybridantriebs aus Batterie plus Brennstoffzelle kann eine Woche lang autonom schwimmen und Forschungsdaten sammeln. Mit der »SeaHunter« hat dieses Schiff gemeinsam, dass die Betreiber von Land aus einen gewissen Einfluss nehmen können. Sie teilen dem USVzum Beispiel

einen neuen Zielhafen mit, können aber nicht in Echtzeit in die Navigation eingreifen. Das vier Meter lange Kleinboot wird auf hoher Seevon einem Forschungsschiff abgesetzt – es muss also nicht das selbstständige AbleAnlegen im Hafen oder das Manövrieren durch schmale Wasserstraßen beherrschen. Die »Sea Hunter« lernt aber genau das. »Da kommen wir auch hin«, sagt Martin Kurowski,»aber noch sind wir nicht so weit.« Damit ist er in guter Gesellschaft. Denn es gibt weltweit zwar viele unbemannte Schiffe,die für Industrie und Forschung sowie beim Militär eingesetzt werden. Aber sie alle sind bisher nicht allzu groß – nur so können sie von einem Trägerschiffaus zu Wasser gelassen und wieder aufgenommen werden. om anderen Ende der Größenskala her nähert sich Carlos Jahn vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen in Hamburg dem Thema. Er hat im Auftrag der EU erforscht, wie in Zukunft auch riesige Megafrachter autonom über die Weltmee-

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Gegnerisches U-Boot im Sonar-Echo entdeckt: So soll die autonome »Sea Hunter« der U.S. Navy in den kommenden Jahren ihre Aufgabe erfüllen.

können (Projektname: Maritime Unmanned Navigation through Intelligence in Networks). Jahns Fazit: Auf dem freien Meer könnten die Frachter schon heute unbemannt fahren, wenn die rechtlichen Probleme gelöst wären, mit denen sich derzeit Gesetzgeber und Versicherungsgesellschaften beschäftigen. Wie zum Beispiel wird die Schuldfrage geklärt, wenn ein autonomes Schiff in einen Unfall verwickelt ist? Selbst wenn diese Hürden aus dem Weg geräumt wären: Die kritischen Manöver in Häfen und an anderen Engstellen wären für unbemannte Megaschiffe nicht zuverlässig zu bewältigen –noch nicht. »In etwa zehn bis 20 Jahren«, sagt Carlos Jahn, »können wir unbemannte Frachtschiffe von Hafen zu Hafen fahren lassen.« Bis dahin könnte eine Crew den Megafrachter von der Kaikante im Hafen aufs offene Meer hinaussteuern, wo sie dann in ein Lotsenschiff umsteigt. Wenige Seemeilen vor dem nächsten Hafen würde eine neue Crew das Schiff übernehmen und wieder von Hand steuern. Bis es so weit ist, blickt die Branche gespannt auf die »Sea Hunter«. Wenn sie als erstes USV ab Mitte 2018 wirklich autonom reist, werden nicht nur die Verantwortlichen bei der U.S. Navy aufatmen.

Schwimmende Helfer in Orange Auch auf den Grach ten Amsterdams könnten in Zukunft Roboter unterwegs sein – um Pakete zu befördern oder die Wasserqualität zu messen. dische Wissenschaft ler erforschen zur zeit Näheres, auch mithilfe von US Kol legen. Der Name ih res Projekts: Roboat.

Den Hamburger wasser Journalisten Hans Willebeeindruckt der rasante Fortschritt, den die unbemannte Schifffahrt macht.

ist es kein Problem, autonome Schiffe über die offe ·Technisch nen Weltmeere fahren zu lassen. Schwierig wird es nur in Häfen und auf engen Wasserstraßen. gibt es noch kein vollautonomes Schiff.Das erste soll ·Deshalb 2018 den Dienst aufnehmen: die »Sea Hunter« der U.S.Navy. zehn bis 20 Jahren sollen auch große Frachter ohne Besat ·Inzung fahren; zu klären sind vorher auch rechtliche Fragen.

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GRENZBEREICHE •PSYCHOLOGIE

ngenommen, Sie sind zu einem Fest eingeladen und sollen sich vorab für einen von zwei Tischen entscheiden. Sie werden neben Gästen sitzen, die Sie nicht kennen. Am ersten Tisch wären Ihre Sitznachbarn Leonie, Julia, Michael und Jan. Amzweiten Tischwären es Babette, Ruth, Gert und Detlef. Welchen Tisch wählen Sie? Wer nicht gerade jemanden mit einem dieser Namen kennt und Gefühle mit ihm verbindet, wird sich eher für den ersten Tisch entscheiden. Hier tragen die Gäste allesamt Namen, die einmal auf Platz eins der beliebtesten Vornamen in Deutschland standen. Babette und die anderen am zweiten Tisch haben dagegen weniger häufige Namen. Die Sympathie für die Gäste am ersten Tischkönnte aber noch einen anderen Grund haben: Ihre Namen bestehen überwiegend aus Buchstaben, die sich auf der rechten Hälfte der Computertastatur befinden. Die Wörter Leonie, Julia, Michael und Jan enthalten insgesamt 14»rechte«, aber nur sieben »linke« Buchstaben. Bei den Namen des zweiten Tisches ist es umgekehrt: drei rechte und 18linke Buchstaben. Zufall? Unsinn? Nein, der Qwerty-Effekt.QWERTY,so lauten seit 1878die ersten Buchstaben links oben auf der Tastatur von Schreibmaschinen in den USA und anderen Ländern. Bis heute ist die Anordnung der Tasten unverändert, auch bei Computern. In Deutschland steht anstelle des Yein Z (Q WE R T Z). Es ist ein psychologisch-linguistisches Phänomen: Offenbar sind uns rechts getippte Wörter lieber als mit links geschriebene. Das klingt unglaublich – denn

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wer denkt schon, wenn er Begriffe benutzt, an deren Position auf einer Tastatur? Ein britischer Neurowissenschaftler und ein US-Forscher hatten schon 2012auf den Effekt hingewiesen, sie bestätigten ihn auch für deutsche Tastaturen als »hoch signifikant«. Dennoch war der Informatiker David Garcia von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich skeptisch, als er von dieser Mitteilung erfuhr. Gemeinsam mit dem deutschen Sozialwissenschaftler Markus Strohmaier wollte er den seltsamen Qwerty-Effekt selbst untersuchen und rechnete damit, dass er nicht nachweisbar sein werde. Ein Irrtum. »Waswir entdeckt haben, war für uns sagt Professor Strohmaier. ie beiden Wissenschaftler nahmen sich vor zwei Jahren elf Internetplattformen vor, auf denen Geschäfte, Filme, Bücher, Videos und andere Produkte von Kunden bewertet werden. Unter den Portalen befinden sich bekannte Adressen wie Amazon und YouTube. Nach der Auswertung von Millionen von Produktnamen staunten die Forscher: Je mehr Buchstaben der rechten Tastaturhälfte der Name eines bewerteten Produktes enthielt, desto besser schnitt das Produkt bei den Beurteilungen ab. Noch verblüffender: Auch wenn die Kunden aktiv wurden und positive Kommentare zu den Büchern, Filmen oder Restaurants formulierten, tippten sie diese Texauf der rechten Hälfte. Während sie bei negativen Beurteilungen eher Buchstaben der linken Seite wählten.

Schreiben Sie auf einer Tastatur? was die Anordnung der TEXT:MARTINTZSCHASCHEL

Q

W

E

R

A

T

Z H

F C

U

B

J N

links

Keine Zukunft für den Qwerty-Effekt? Experten sagen voraus, dass wir mithilfe von Computern und Smartphones immer häufiger Texte diktieren, anstatt sie zu tippen. Der Qwerty-Effektwird deshalb sehr wahrscheinlich abnehmen.

»Der Effekt, den wir gefunden haben, ist gering, aber robust«, erklärt Markus Strohmaier. Gering heißt: Er ist zu schwach, um etwa einer Firma zu garantieren, dass sich ein neues Produkt gut verkauft, wenn sein Name aus möglichst vielen rechten Buchstaben besteht. Das Phänomen zeigt sich auch nur im Durchschnitt der großen Datenmasse und nicht in jedem Einzelfall: Mitreißende Filme wie »Titanic«, »Pretty Woman« (beide über wiegend links geschrieben) oder »Avatar«(komplett links) wurden trotz ihrer »ungünstigen« Buchstaben im Titel zum Kinohit. Die

FOTOS:SHUTTERSTOCK (3), UNIVERSITY OF CHICAGO

A

DERQWER

RTY-EFFEKT das am zweithäufigsten benutzte N (9,8 Prozent) und das I (7,6Pro zent) befinden sich rechts. »Es könnte sein, dass eine leichte Vorliebe für bestimmte Buch ben schon ins Designder Tastatur geflossen ist«, sagt Markus Stroh maier. Das hieße, wir würden noch heute den verbalen Vor ben folgen, die einst der Erfin Schreibmaschinen tur im Kopfhatte. Wahrscheinlicher ist aber das »Eine Vorliebefür die rechte Hand«, so Strohmai dazu geführt haben, dass wir die rechten Buchstaben bevorzugen.«

Sie werden kaum glauben, Buchstaben mit unserem Gehirnanstellt

I

O K

P L

Ü Ö

Ä

M

rechts

Formulierung, der Effektsei bust«, bedeutet: Er taucht auf und ist eindeutig nach weisbar. Bei neun großen Portalen ha ben die Wissenschaftler ihn obachtet, nur bei zwei adressen fanden sie ihn nicht. Bei BookCrossing, einer Plattform zur Weitergabe und Bewertung von Büchern, war der Effektnicht messbar. Und bei einem anderen Portal verkehrte er sich ins Ge wurden Buchstaben der linken Hand favorisiert. Dieses Portal heißt RedTube, es präsentiert Pornovideos. Na heliegender Gedanke: Wer hier

Filme mit Titeln wie »Maia Loves Sucking Dick«und »Jordan Edge Handjob« anklickt, lässt sich eher von den Standfotos animieren, die die einzelnen Filme ankündi gen, als vom Filmtitel. ewusst ist uns die ein seitige Wahlder staben nicht. Wasaber ist die Ursache für das Phäno men? Die Forscher haben geschlossen, dass es etwas mit der Länge von Wörtern oder mit der Häufigkeit der Buchstaben zu tun hat. Das E, im Deutschen mit der am meisten ver wendete Buchstabe, sitzt links,

Auch Küken bevorzugen eine Seite. Meistens die Rechte, so wie wir Menschen.

Andere Länder, andere Tasten Für DanielCasasanto (Chicago) und andere Wissenschaftler war es interessant, die deutsche Tastatur in ihre Studien beziehen. Hiergibt es wegen Ä,Ö und Ü links und rechts jeweils gleich viele Buchstaben, während in anderen Ländern (USA,England) links mehr Buchstaben platziert sind. Aber der Qwertz Effekt zeigte sich dennoch.

atsächlich zeigen es Redensarten wie »Sie macht es allen recht« und »Er ist mit dem linken Fuß aufgestanden«: Die rechte perseite ist die beliebtere. Was vermutlich zusammen hängt, dass rund der Menschen Rechtshänder sind. Aber auch neugeborene Kü ken zeigen eine einseitige liebe für die rechte Körperseite, wie Experimente bewiesen ha ben: Wenn sie beim Lösen von Aufgaben rechts neben sich Fut ter zur Belohnung erblicken, nen sie schneller, als wenn das Futter links liegt. Eine US amerikanische Stu die hat 2014 nachgewiesen, dass der Qwerty Effekt auch sichtbar wird, wenn Eltern nach Vorna men für ihre Neugeborenen chen. Ein Blickauf das Jahr 1920 zeigt dagegen: Die beliebtesten weiblichen Vornamen Ilse, Hil degard, Gertrud, Irmgard und Gerda bilden sich aus nur 8 rech ten, aber 24 linken Buchstaben. Der Qwerty Effektlag damals, in einer Zeit ohne Schreibmaschi nen, noch in weiter Ferne.

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VISIONEN•SPEICHER

Speichermedium GLASDISC Art der Codierung: 5-D-Nanostruktur Datendichte: 360 Terabytepro Disc.Das

Die komplette Heilige Schrift ist auf dieser Glasdisc konserviert. Für immer.

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FOTOS:UNIVERSITY OF SOUTHHAMPTON

entspricht elf Terabytepro GrammGlas. Haltbarkeit: 13,8 MilliardenJahre

Ein Speziallaser graviert feinste Nanostrukturen in drei Glasschichten. Zusammen mit Größe und Ausrichtung der Codierungen ergeben sich insgesamt fünf Dimensionen.

Vergiss mein nicht Das Wissen des 21.Jahrhunderts droht verloren zu gehen, weil unsere Speichermedien nur ein paar Jahrzehnte überdauern. Jetzt gibt es spektakuläre neue Ansätze. Was taugen sie? TEXT:ANDREABANNERT

enn Peter Kazanskydie Bibeltexte in Quarzglas schreibt, hält er sie für die Ewigkeit fest. »Es ist aufregend, dass wir eine Technik erschaffen haben, die Dokumente und Informationen für zukünftige Generationen im Allbewahrt«, sagt der Professor am Optoelectronics Research Centre an der Universityof Southampton. Auch wenn wir eines Tagesunsere irdische Heimat ferne Planeten besiedeln sollten: Das Wissen der Vergangenheit wird überdauern, eingraviert in Spezialglas. Dasist KazanskysVision. Seine Technologie ist eivielen Ansätzen für die Zukunft der Datenspeicherung, an denen Forscher weltweit arbeiten. Denn die heutigen Festplatten überdauern gerade einmal ein paar Jahrzehnte. Wenn wir keine neuen Speichermedien entwickeln, könnte unsere Zeit als »finsteres 21.Jahrhundert« in die Geschichte eingehen, wie das Archivprojekt »Memory of Mankind« provokant formuliert.

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1,4

Megabyte Kapazität hatte 1952 der erste Magnetbandspeicher. Das 720 Meter lange Speicherband des IBM726 war auf eine Spule mit zwölf Zoll Durchmesser gewi ckelt. Das Nachfolge modell IBM727 er reichte im folgenden Jahr fast die fache Kapazität: gan ze vier Megabyte.

Papier oder Mikrofilme halten zumindest einige Hundert Jahre durch. In Freiburg lagern bei spielsweise 27000 Kilometer Mi krofilm mit historischen Doku menten wie dem Bauplan des Kölner Doms. Eingeschlossen in Edelstahltonnen ruhen sie in Tiefe.Dasverdeutlicht ein weiteres Problem: Die alten Speicherformen benötigen zu viel Platz. Neben einer langen Haltbarkeit müssen die zeitdatenspeicher der Zukunft deshalb auch möglichst viele Daten auf kleinstem Raum be herbergen. Denn weltweit ent stehen heute jeden Taggeschätzt Terabyte an neu Informationen. Die Glasdisc,in der Kazansky die gesamte Bibeldigital sicherte, hat den Durchmesser eines Zwei eurostücks. Würde man sie so groß machen wie eine handels übliche CD, fänden darauf theo retisch 360 Terabyte Platz. Das entspricht dem 3600 fachen der neuesten Blu Ray Generation. Kazanskysetzt auf feinste Na nostrukturen, die ein Laser mit

Peter Kazansky und sein Team von der University of Southampton haben einen 360-Terabyte-Speicher entwickelt, der hält, bis die Erde unbewohnbar wird.

hilfe ultrakurzer Lichtpulse ins Glas graviert. Und zwar in fünf Dimensionen: Neben drei Raum richtungen spielen auch Größe und Ausrichtung der winzigen Codierungen eine Rolle. Mit blo ßem Augesieht man davon aller dings nichts – die Disc erscheint einfach nur durchsichtig. Zum Auslesen der Daten benötigt man ein Spezialmikroskop mit larisationsfilter. Damit lassen die einzelnen turschichten wieder decodieren.

DIE SONNEBRENNTAUS, DIE DATENÜBERDAUERN Weil die Daten im Inneren der Glasstruktur liegen, sind sie gut geschützt. Anders als die fläche einer CD können sie nicht verkratzen. Sogar den Härtetest mit dem Bunsenbrenner über steht das Quarzglas: Es hält Tem

peraturen um 1000 °C stand. Magnetbänder und Flashspei cher würden bei solcher Hitze in Flammen aufgehen. Bei Temperaturen bis zu °C überlebt der Glasspei Milliarden Jahre – das zumindest ergaben die tischen Hochrechnungen der Forscher. Damit könnte er die menschliche Art überdauern und selbst den Todeskampfunse rer Sonne erleben, der in rund sechs Milliarden Jahren beginnt. Aktuellsuchen Kazanskyund seine Kollegen nach Industrie partnern, um ihren Prototyp zur Marktreife zu bringen. Denn noch kostet das Datenspeichern in Glas viel Geld und dauert un rentabel lange. Alleindie Bibelin Glas zu gravieren dauerte einen Tagund kostete 1000 Dollar.»Wir hoffen, dass wir die Schreibge

S peichermedium DNA Bei der Gelelektro phorese werden DNA-Stränge der Größe nach sortiert und durch Fluoreszenz sichtbar gemacht.

Art der Codierung: Codeaus vierMolekülen Datendichte: 170Millionen TerabyteproGramm Haltbarkeit: über2000JahrebeiRaumtempera -

tur, eineMillionJahrebei–18°C(inGlaskapseln)

VISIONEN•SPEICHER

schwindigkeit auf einige Hun dert Megabyte pro Sekunde an heben können«, sagt Kazansky. Dann würde es nur einen Sekun denbruchteil dauern, die Heilige Schrift in Glaszu speichern. Auch die Kosten sollen fallen: »Essollte möglich sein, sie auf einen Cent pro Gigabytezu senken.« Aber was passiert, wenn die Menschen eine solche Glasschei be in einigen Tausend Jahren fin den? Könnten sie die extrem ver dichteten Daten dann überhaupt noch lesen? »Künftige nen oder auch andere Lebewesen werden clever genug sein, um 5 D Strukturen zu entziffern«, glaubt Kazansky. Zur Sicherheit gravieren die Forscher einen spe ziellen Schlüssel in die Oberflä che ihrer Kristalle ein. Er soll zei gen, wie die Daten zu lesen sind. Doch auch um diesen Algorith mus zu verstehen, benötigt man Informatik Kenntnisse.

FOTOS:UNIVERSITY OF SOUTHHAMPTON, ETHZÜRICH,SHUTTERSTOCK

DANKDNA:YOUTUBEIM ZUCKERWÜRFEL Deshalb beschäftigen sich andere Forschungsgruppen mit einem Datenspeicher, der auch in vie Jahren noch bekannt sein dürfte: der DNA. »Solange gibt, wird man ran interessiert sein, das Erbgut zu lesen. DNAbleibt immer tuell«, sagt Georg Seelig von der Universityof Washington,der zu sammen mit seinem Team daran arbeitet, digitale Daten in DNA Molekülen zu sichern. DNA ist ein Meister im Speichern auf kleinstem Raum, schließlich hat die Natur diese Technologie über Jahrmillionen perfektioniert. Theoretisch pas sen 170Millionen Terabyteauf ein Gramm. Damit stellt das Erbma terial selbst die Glasdiscs in den Schatten. So ließen sich etwa

Die Lebensdauer der Daten SPEICHERMEDIEN Die langlebigsten Datenspeicher waren zweifellos die frühesten. Was unsere Vorfahren vor Jahrtausenden an Höhlenwände malten und in Stein ten, gibt uns bis heute Einblickein ihr Leben und ihre Kultur.Moderne Materialienkönnen da nicht mithalten: Filmverblasst, CDs verkratzen oder zersetzen sich, USB Sticks ver schleißen, Festplatten verlieren ihre Magnetisierung. Dazu kommt häufig ein menschen gemachtes Problem: Neue Technikkann die alten Datenspeicher nicht auslesen.

2 10

5,25 “-Diskette (1976)

2

3,5 “-Diskette (1982)

15

10

USB-Stick (2000)

75

34

Festplatte (1956)

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3

Audio-CD (1979)

100

10

Kassette (1963)

20

100

Schallplatte, Vinyl (1930)

Videokassette (1972)

DVD (1995)

Super-8-Film (1965)

5

15

30

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70

100

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SD-Karte (2001)

Lebensdauer in Jahren Regelmäßig genutzt Nicht gebraucht oder extrem sorgfältig behandelt

0 › 25 › 50 › 75 › 100+

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alle heutigen YouTube-Inhalte auf Erbmaterial vom Volumeneines Zuckerwürfels schreiben. Der Code des Lebens besteht aus vier Molekülen, den sogenannten Basen Adenin (A),Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T). Da man für digitale Informationen nur Nullen und Einbenötigt, übersetzt man diese im einfachsten Fall zum Beispiel folgendermaßen: 00 = A, 01 = C, und 11= T. Eine Datei wird dann in viele kurze DNA-Stränge aufgeteilt, die jeweils eine Länge von 100 bis 200 Basen haben und am Anfang und Ende mit einer Art Adresse markiert sind. So kann man den gewünschten Abschnitt aus der DNA-Suppeherausfischen und lesen. Seelig und seinen Kollegen ist es gelungen, vier Bilder in speichern und fehlerfrei wieder auszulesen, darunter das Foto einer Katze. Zuletzt schafften es die Forscher zusammen mit Microsoft, 160 Megabyte zu codieren. Die künstliche Erbsubstanz Base für Base zusammenzusetzen war eine Million Mal

teurer als das Speichern auf anderen Medien. »Nur wenn wir die DNA-Herstellungbilliger machen können, wird die Datenspeicherung in DNArealistisch«, so Seelig. Es gäbe aber viel Spielraum, die Technologiegünstiger zu machen: »Bisher hat das bloß niemanden interessiert, weil es keine Anwendung dafür gab.«

Robert Grass von der ETHZürich speicherte unter anderem die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen in glasumhüllten DNA-Kügelchen.

SIMULIERTE MAMMUTKNOCHEN Dass DNA lange Zeit überdau kann, beweisen Funde in Knochen, die bis zu 700000 Jahre An der Luft verändern sich die Moleküleallerdings chemisch, werden instabil. »Ähnlich wie in fossilen Knochen wollen wir deshalb die informationstra gende DNAdurch eine künstliche Hülle schützen«, erklärt Robert Grass vom Functional Materials Laboratory an der ETHZürich. Unter Wasser kapselt er die DNA-Molekülein Glaskügelchen ein, die einen Durchmesser von 150 Nanometern haben. Flüssiges Glas wäre mit 400 °C viel zu heiß und würde die empfind-

Datenspeicher analog und digital: Bibliothek des Trinity College im irischen Dublin (links) und das Rechenzen trum von Facebook im schwedischen Luleå

lichen Biospeicher zerstören. Grass’ Methode funktioniert daher mit einer Vorläufersubstanz, die sich bei Raumtemperatur zu festem Glas umsetzt und die DNA rundum einschließt. Mit Fluoridlösung lässt sich die Information später wieder aus der schützenden Hülle befreien. Die Forscher bewahrten die DNA-Kapseln bei 70 °C auf – Temperatur simulierbeschleunigte Alterung. Nach vier Wochen waren die Daten noch fehlerfrei lesbar. Hochgerechnet könnte man die so gespeicherten Informationen bei Raumtemperatur mindestens 2000 Jahre lagern. »Wahrscheinlich wären auch 10000 Jahre möglich«, so Grass. Friere man die Kapseln bei –18°C ein, könne man die Daten sogar in mehr als einer Million Jahren noch decodieren. Im USB-Stick oder der Festplatte werden aber auch in Zukunft weder Glas noch DNA stecken. »Diese Technologien eignen sich vor allem, um Daten zu sichern, die man nicht sehr häufig lesen möchte«, so Seelig. Denn um sie zu schreiben und zu decodieren, sind große und komplexe Geräte notwendig.

MAGNETEAUFDER RENNBAHN Für den Alltagsgebrauch stehen andere Hoffnungsdatenträger in den Startlöchern. Die von IBMForschern entwickelte RacetrackTechnologie etwa eignet sich auch für den heimischen Computer. Sie arbeitet magnetisch, ähnlich wie ein Tonband oder eine Videokassette. Anstelle eines Bands speichert ein winzidie Daten. Er bewegt sich allerdings nicht an einem Schreib- oder Lesekopf vorbei.

FOTOS:ETHZÜRICH,GETTYIMAGES,DDP IMAGES,ARTHURMOUNT/IBM, ALAMY

VISIONEN•SPEICHER

Stromimpuls

S peichermedium

1. Der Strom schiebt die magnetischen Bits wie Perlen auf eine Schnur vorwärts und rückwärts durch die Drahtschlaufe.

Racetrack-Memory Art der Codierung: Für jedesBitwirdeinkleinerAbschnitt

Bit

2. Die einzelnen Datenbits sind durch»Domänenwände« voneinander getrennt. Jede Schleife enthält bis zu 10 Bits.

(Domäne)einesNanodrahtsmagnetisiert.0 und 1sind entgegengesetzt gepolt.LegtmaneinenStroman, wandern die BitsdenDrahtentlangund kommendabei einem Schreib-und einemLesekopfvorbei. Datendichte: 100-fachhöheralsbeiheutigenFlashspeichern Haltbarkeit: nochnichtgenaubekannt

Domä nenwand

3. An einer festen einheit kann die magnetische Struktur der einzelnen Bits verändert werden. 4. Die Leseeinheit erfasst den magnetischen Zustand der einzelnen Bits. Schreibkopf

Stattdessen sausen die Speichereinheiten, Domänen genannt, mit sehr durch den Draht hindurch. Dabei fließen sie durch ein Lesegerät, das in der Mitte des Drahts sitzt. Jede Speichereinheit ist entweder parallel oder entgegengesetzt zum Lesegerät magnetisiert. Die Polungen entsprechen dabei den Bitwerten 0 und 1. Ein einzelner Racetrackmisst wenige Nanometer und speizu 100 Bits. Setzt man Drähte dicht nebeneinander, erreicht die Technologieeine 100mal höhere Speicherdichte als jene Flashmedien, die in Smartphones und USB-Sticksstecken. Sogar Festplatten übertrifft der neue Ansatz um ein Vielfaches. »Man könnte die Nanodrähte auch dreidimensional anord nen«, sagt Mathias Kläui, Professor für Experimentelle Physik Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Sosei eine weitere Steigerung der Datendichte denkbar.

Lesekopf

Die Racetrack-Technologie bieeinen weiteren Vorteil: Sie arbeitet extrem schnell. Kläui und sein Team demonstrierten, dass sie es auf die 100000-fache Geschwindigkeit heutiger Festplatten bringt. Probleme bereitet derweil das Material. Denn die Nickel-Eisen-Legierung des Prototyps lässt sich durch äußere Magnetfelder beeinflussen. Die könnten die gespeicherten Daten also beschädigen. Wenn die Wissenschaftler dafür eine Lösung finden, spielt die Racetrack-Technologie mit im Wettbewerb um den besder Zukunft. »Racetrack-Speicher enthalten keine beweglichen Teileund sind deshalb viel robuster als her kömmliche Festplatten«, erklärt Mathias Kläui.

WIKIPEDIAUNDDIE MAGNACHARTA Egal welche Speichermethode es zur Marktreife schafft: Es bleibt die Frage, welche Daten so wich-

tig erscheinen, dass man sie für zukünftige Generationen sichern möchte. Der wahre Wert von historischen Informationen zum Beispiel stellt sich meist erst im Rückblick heraus. In Kazanskys Glasdiscs sind neben der Bibel bereits Isaac Newtons Wissenschaftsklassiker »Opticks« und die Magna Charta, das Basiswerk der englischen Verfassung, eingraviert. Grass würde von der Unesco als besonders bedeutsam ausgezeichnete Dokumente und die Online-Enzyklopädie Wikipedia in DNAsichern: »Das gibt vermutlich einen guten Überblick darüber, was unsere Gesellschaft heute weiß.«

Das Gedächtnis der Welt In ihrem Programm »Memory of the World« listet die Unesco besonders schützenswerte Dokumente auf. In Deutschland zählen Beethovens Neunte und die GutenbergBibel (Bild)dazu.

Andrea Bannert hat als Biologin selbst schon mit DNA-Molekülengearbeitet. Dass man in dem Erbmaterial auch digitale Daten speichern kann, fasziniert die Autorin.

heute gebräuchlichen Speichermedien sind nicht lange ·Die genug haltbar. Wissen droht für immer verloren zu gehen. Glasdisc-Verfahren verspricht quasi ewige Haltbarkeit und ·Das mit elf Terabyte pro Gramm Glas eine extreme Datendichte. DNAals Datenträger wird erforscht – sie speichert bis ·Auch zu 170 MillionenTerabyte pro Gramm. Extreme Schnelligkeit verspricht dagegen die Racetrack-Technologie.

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NEUE BÜCHER

Fehler können nützlich sein nser Gehirn ist ein ungeheuer leistungsfähiges Organ. Und doch macht es ständig Fehler. Mal erinnern wir uns falsch, mal verrechnen wir uns – oder finden die Wohnungsschlüssel nicht. Regelmäßig scheitern wir an Aufgaben, die Computer in Sekundenbruchteilen erledigen. In unserer zunehmend digitalen Welt erleben wir immer häufiger, wie beschränkt unser Denkvermögen ist. Doch genau diese Schwäche ist unsere Stärke, glaubt der Neurowissenschaftler und ScienceSlammer Henning Beck. Die Fähigkeit zu irren ermögliche kreative Problemlösungen und Fortschritt. Und genau deshalb müssten wir die künstliche In-

U

telligenz nicht fürchten. Der Autor hat eine sehr klare, einfache These: »Es ist der Irrtum, die Ungenauigkeit im Denken, die uns den Computern überlegen macht.« Manche Experten für künstliche Intelligenz werden das anders sehen. Aber Becks Kernthese ist durchaus plausibel. In seinem unterhaltsamen und informativen Buch zeigt er, zu welchen Leistungen unser Gehirn imstande ist – und warum es die Unvollkommenheit unseres Denkens ist, die uns zu Menschen macht.

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GAMES

Auf Roboterjagd n der fernen Zukunft jagen die Menschen wieder mit Pfeil und Bogen– und sie jagen riesige Maschinentiere. Das klingt ganz gut? Das sieht auch noch gut aus! Die Weltvon Horizon Zero Dawn ist brillant inszeniert, sie wirkt lebendig und ist frei bespielbar. Nur: Narrativ und spielerisch baut das Spiel leider zu stark auf Altbewährtem auf. Die Story trieft vor zu großen Gefühlen und Fantasy-Pathos, und die Spielmechaniken wurden bereits in zu vielen erfolgreichen Spielen erprobt: erkunden, kämpfen, Spielfigur weiterentwickeln, gegen größere Gegner kämpfen, Neben-

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Spielen hilft!

handlung nur bei Bedarf. Zu viele Klischees, zu viele Standards. Herzzerreißend spannend wird es nur, wenn man gegen eine unbekann te Maschine antritt und ihre Schwachstelle suchen muss. Fazit:Horizon Zero Dawn will möglichst allen gefallen, und es wird vielen gefallen – gerade weil es so gut aussieht. Aber es ist kein Spiel, an das man sich in ferner Zukunft erinnern wird. für Playstation 4 freigegeben ab 12 Jahren Sony Interactive Entertainment, ca. 70 Euro

Videospiele können helfen, Konflikte zu lösen und Empathie zu steigern – das ergab eine Unesco-Studie. »Die Perspektive anderer einzunehmen kann mithelfen, Vorurteile und Haltungen zu überprüfen«, heißt es. Als beispielhaft werden die Spiele 1979 Revolution und Peace Maker genannt, in denen es um den Aufstand gegen den Schah im Iran respektive den Nahostkonflikt geht.

ZELDA Das neue »Zelda« heißt »Breath of the Wild«,und man spürt den Atem der Wildnisin jeder Sekunde, während man im riesigen Land Hyrulemit Monstern kämpft oder Rätsel löst. WievielLiebe und überraschende Ideen die Entwickler in das Abenteuer gesteckt haben! Eines der besten, schöns ten Spiele des Jahres.

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UNWRITTENTALES2 App Gewinner in zwei Kategorien beim Deutschen Entwicklerpreis, Spiel des Jahres 2015 beim »Adventure-Treff«: Toll, dass das hervorragend produzierte, lustige und selbstironische Fantasy-Adventure »The Book of UnwrittenTales 2« nun endlich auch auf Tablets gespielt werden kann.

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GEHEIMNISSE •BOTANIK 2014 C a n n a b is Aufnahme mit Elektronenmikroskop

Die bunten Kugeln sind Tröpfchen THC-haltigen Harzes. Die Cannabispflanze sondert das Rauschmittel aus Drüsen ab. Fotograf Ted Kinsman färbte es entsprechend psychedelisch ein.

Die Schöpfung ist ein

WUNDER Schönheit, Erkenntnis, technischer Fortschritt: Seit Jahrhunderten macht sich der Mensch ein Bild von Pflanzen. So entstand nebenbei eine Geschichte der Naturforschung TEXT:NORASAAGER

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1837 Pollen Chromolithografie

ABBILDUNGEN: TED KINSMAN/SCIENCE SOURCE(LI.),BIODIVERSITY HERITAGE LIBRARY (RE.)

Der Botaniker Carl Julius Fritzsche ver fasste ein ganzes Buch über Pollen. Er betrach tete die kleinen Kunst werke durch ein skop mit neuer Objektiv Technik, das klarere Bilder lieferte als seine Vorläufer. Um die Struktur der Pollen herauszuarbeiten, tränkte Fritzsche sie auch in Säure (Abb. 6).

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ass Ferdinand Bauer von ersten Umsegelung Australiens lebend zurück kehrte, war keine verständlichkeit. 1801 war der botanische Zeichner mit einer britischen Expedition aufgebrochen, um die Pflan zenwelt des entlegenen Kon tinents zu dokumentieren. In den folgenden Jahren kämpf ten die Reisenden mit faulenden Schiffsplanken, Tropenkrankheiten und den Unwägbarkeiten einer feindlichen Natur. In Westaustralien starb Bauer bei nahe an Wassermangel.AllenWidrigkeitenzum Trotz fertigte der Österreicher 2073Zeichnungen an. Weil die Zeitzu knapp war, um alles vor Ort zu kolorieren, versah er sie mit schriftlichen Farbcodes. Die Rück fahrt trat er 1805 auf einem Schiff an, dessen Deck fast während der gesamten Reiseunter Wasserstand.

D 2003 AckerSch m Al w And Aufnahme mit Konfokalmikroskop

Dieser schmalwand wurde ein Gen eingesetzt, das Zellstrukturen grün fluoreszieren lässt. In der Auf nahme des For schers John Runions leuchtet 600 fach vergrößert ein Trichom, ein winzi ger Auswuchs auf der Blattoberfläche.

Seine Zähigkeit zahlte sich aus. Bauers Arbeit war für Naturforscher von unschätzbarem Wert: Sie er möglichte es, sich von den fremden Pflanzen eine genaue Vorstellung zu machen. »Kunst und senschaft waren seit jeher untrennbar miteinander verbunden«, sagt Heather Pardoe, leitende Kurato rin für Botanik am National Museum Walesin Car diff. »Botaniker brauchten sachkundige Pflanzen zeichner, um feine Details festzuhalten.« Alexander von Humboldt etwa ließ viele seiner Reiseskizzenzu Hause von Zeichnern ausarbeiten, bevor sie gesto chen und gedruckt wurden. »Umgekehrt spiegelte der Stil der Illustrationen oft die herrschenden wis senschaftlichen Paradigmen wider.« Viele Bilder sind von berückender Schönheit. Doch an erster Stelle steht nicht die Ästhetik. »Die Zeichner mussten sich dem Objekt unterordnen – und den Wünschen ihrer Auftraggeber«,sagt Profes sor Hans Walter Lack,ehemaliger Direktor vom Bo tanischen Garten und Botanischen Museum der

ABBILDUNGEN: HOUGHTON LIBRARY/HARVARD UNIVERSITY (LI.),COURTESY U.S. NATIONAL LIBRARY OF MEDICINE (MI.),COLLECTION ROB KESSELER(RE.)

GEHEIMNISSE •BOTANIK

2013 s c a b i o sa c r e Na t a Aufnahme mit mikroskop

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1665 Nes se l uNd w ild er Ha fe r Kupferstich

Die Stiche des Naturphilosophen Robert Hooke machten die Mikroskopie berühmt. Hier zu sehen: die Unterseite eines Nesselblatts sowie Längsansicht und Querschnitt einer Hafer-Granne. Da die »Haare« an den Ähren sich bei Feuchtigkeit krümmen, baute man Barometer damit.

Künstler Rob Kesseler überzog diesen Samen einer Skabiose vor dem Mikroskopieren mit einer dünnen Platinschicht. Das Metall reflektiert die Elektronen, die das Gerät aussendet. Das eingefärbte Bild setzt sich aus 18 einzelnen SchwarzWeiß-Aufnahmen zusammen.

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GEHEIMNISSE •BOTANIK

2008 Rose 3-D-Rendering

Der japanische Künstler Macoto Murayama erschafft Blaupausen für Blumen: Am Rechner entwickelt er präzise Planzeichnungen von verschiedenen Ebenen und Stadien des Erblühens, die er anschließend übereinanderlegt. Das fertige Bild ähnelt einer Röntgen aufnahme.

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ABBILDUNGEN: MACOTOMURAYAMA, ROSEIII,2008, COURTESY FRANTICGALLERY/WWW.FRANTIC.JP (LI.),EILEENTWEEDY/THE ARTARCHIVE (RE.)

1820 KohlRose Hand kolorierter Punktstich Pierre-Joseph Redouté, auf dessen Aquarell dieser Stich basiert, war ein Großmeister der botanischen Kunst. 1805 ernannte ihn Joséphine, Ehefrau von Napoleon Bonaparte und damals frisch gekrönte Kaiserin Frankreichs, zum »Blumenmaler Ihrer Majestät«.

GEHEIMNISSE •BOTANIK

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ca. 1850 Baumwurzel Farbzeichnung

ABBILDUNGEN: WELLCOME LIBRARY LONDON,LAURENPIEDMONT/SCIENCE PHOTOLIBRARY (O. MI.),© CHRISTIE’S IMAGES/BRIDGEMAN IMAGES(U. LI.), PRIVATSAMMLUNG SPIROSHADJIDJANOS (O.RE.);ALLEABB.:COURTESY PHAIDONVERLAG; AUSSERABB.S. 88: COURTESY FRANTICGALLERY

In seinem Buch »Das Pflanzenreich« ordnete der Leipziger Botaniker Wilhelm Ludwig Peter mann wichtige wächse nach ihren »na türlichen Systemen«. Detailliert zeichnete er Blüten, Blätter und Wurzeln. Oben links ist die Zellstruktur, oben rechts die Spitze einer Wurzel zu sehen.

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2011

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ca. 1600

2014

Pinienzweig Aufnahme mit Lichtmikroskop

Blumen Zeichnung, Tinte und Wasserfarbe

wahrer Bärenklau 3-D-Druck, Nylon und Aluminiumstaub

Lauren Alvarenga behandelte diesen Querschnitt mit zwei fluoreszierenden Farbstoffen. So werden die verschiedenen Strukturen sichtbar: Rote Bereiche sind holzig und enthalten viel Lignin,grüne besit zen einen höheren Anteil an Cellulose.

Als das Tableau für den Kaufmann und Samm ler Philipp Hainhofer angefertigt wurde, waren einige der ge zeigten Blumen noch Exoten: Tulpe und Kai serkrone hatten erst einige Jahrzehnte zuvor ihren Weg aus dem Nahen Osten nach Europa gefunden.

Vorlage für dieses Kunstwerk war ein Bild von KarlBlossfeldt, der die Pflanzenfotografie Anfang des 20. Jahr hunderts zur Kunstform erhob. Spiros djanos verlieh dem Foto am Rechner künstliche Tiefe und ließ per 3 D Druck eine Skulp tur entstehen.

Freien Universität Berlin. »Oberstes Ziel war es, ein anonymes Bild zu schaffen, das die bestimmenden Eigenschaften der betreffenden Art widerspiegelt.« Die ältesten handgemalten Kompendien zeigten meist Heilpflanzen. »Ob das Gewächs auf der Zeichnung klar zu erkennen war, entschied darüber, ob eine Behandlung anschlug, wirkungslos blieb oder den Patienten im schlimmsten Fallvergiftete«, sagt Lack. otanische Zeichnungen eröffneten ihren Betrachtern immer wieder den Blick für neue Welten. In der Ära der großen Entdeckungsreisen, die im 15. Jahrhundert begann, waren Naturforscher und wissenschaftliche Illustratoren an vorderster Front – und präsentierten der staunenden Öffentlichkeit solch außergewöhnliche Gewächse wie die Ananas. Später finanzierten Adelige und reiche Kaufleute Expeditionen, um ihre Gärten mit einzigartigen Pflanzen zu schmücken. Trafen die Exoten ein, wurden sie genau dokumentiert. Werwusste schon, ob sie fern ihres natürlichen Lebensraums nicht bald eingehen würden? Eine neue Weltder ganz anderen Art öffnete die Erfindung des Mikroskops. Derlei Einblicke in den Aufbau von Pflanzen waren Botanikern bislang nicht vergönnt gewesen. 1665veröffentlichte Robert Hooke sein Werk »Micrographia«. Darin zeichnete und beschrieb er erstmals Zellen: jene »Kämmerchen«, deren Wändeer bei der Betrachtung von Kork unter dem Mikroskop sah. Die Entdeckung revolutionierte die Naturwissenschaften. Gleichzeitigwar »Micrographia« ein Bestseller,der das Allerkleinste einem breitem Publikum zugänglich machte. Zählte bis zu diesem Zeitpunkt oft der Gesamteindruck einer Pflanze, gewannen nun EinzelheiBedeutung. »Seit dem 18.Jahrhundert zeichnete man zunehmend Details: Pollen, Staubblätter, Querschnitte durch den Stängel«, sagt Lack. Bald zeigte sich, dass der genaue Blick auch etwas über

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die Verwandtschaftsverhältnisse der Pflanzen untereinander verriet. 1753veröffentlichte Carl von Linné »Species Plantarum«, ein Werk, in dem er rund 6000 Pflanzen anhand ihrer Fortpflanzungsorgane klassifizierte und die bis heute gültige wissenschaftliche Nomenklatur aus Gattungsnamen und Artzusatzeinführte. Damals standen botanische Zeichner im Dienste der Forschung; heute bilden wissenschaftliche Verfahren auch die Grundlage für neue Kunstformen. Genveränderte Gewächse,die unter dem Mikroskop fluoreszieren, 3-D-Druckeund Computersimulationen zeigen die Pflanzenwelt von einer neuen Seite. Rob Kesseler, Professor für Künste, Design und Wissenschaft am College Central Saint Martins der University of the Arts in London, nimmt Pflanzen mit dem Elektronenrastermikroskop auf, koloriert die Bilder und stilisiert sie zu kleinen Kunstwerken. »So, wie Pflanzen durch ihre Farben Insekten anlocken, will ich ein menschliches Publikum anziehen«, sagt er. Mit den Botanikern WolfgangStuppy und Madeline Harley hat er mehrere Bildbände herausgebracht: »Samen«, »Früchte« und »Die geheimnisvolle Sexualität der Pflanzen«. »Ich habe eine Menge über die Objekte gelernt, die ich mir angeschaut habe«, sagt Kesseler. »Ich wollte mit dem aktuellen Stand des Wissens arbeiten.« So kehren botanische Darstellungen zu ihren Wurzeln zurück: als Gemeinschaftswerk von Künstlern und Forschern.

Illustrationen waren Werkzeuge der Natur ·Botanische forschung. Sie ermöglichten es, Heilpflanzen zu identifi zieren oder neue Entdeckungen festzuhalten. der Entdeckung der Zellen und der Einführung der ·Bei modernen Klassifikation spielten sie eine wichtige Rolle. bedienen sich oft Künstler der modernen Metho ·Heute den wissenschaftlicher Bildgebung.

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Die Kunst der Natur Vom byzantinischen Pergament bis zur Skulptur aus dem 3-D-Drucker: Der Bildband» Plant « zeigt außergewöhn liche Pflanzenbilder aus allen Epochen. Phaidon, 352 Seiten, 49,95 Euro. Im August erscheint bei DVAeine deutsche Ausgabe unter dem Titel»Flora«.

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Bükers

TESTGELÄNDE

/1927

Weltbewegende Experimente und ihre Geschichte

NE K O L UE UMN

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D a s P e c h t r o Pf e n - e x Pe r i m e n t

Tropfenweise Unglück

N Die Theorie zum Experiment: Viskosität ist ein Maß für die Zähflüssigkeit eines Stoffes. Physikalisch gesehen beschreibt sie die innere Reibung bei Verformung. Die übliche Einheit ist Pascalsekun de (Pa•s)«. Wasser hat eine geringe Viskosität von 0,001 Pa•s, während Sirup und Honig zwischen 1 und 10 Pa•s liegen. Die PechtropfenExperimente haben ergeben, dass Pech zwischen 10 Millionen und 200 Millionen liegt.

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achts laufen im Fernsehen manchmal stundenlang Kaminfeuer-Filme, die ich durchaus nett anzuschauen finde. Etwas Aufregendes passiert allerdings immer nur dann, wenn ich gerade abgelenkt bin: Zum Beispiel bricht ein großes Holzscheitdurch. Dann denke ich: Mist, ewig ist nichts passiert, und nun habe ich das Beste verpasst! So ging es auch Forschern in Australien mit einem kuriosen Versuchsaufbau: dem Pechtropfen-Experiment. Pech ist ein Destillationsprodukt aus Naturstoffen wie Kohle oder Erdöl und wurde früher auch beim Straßenbau eingesetzt. Reines Pech verhält sich ähnlich wie Glas: Stark erhitzt ist es flüssig und formbar, erkaltet wird es fest und zerbrechlich. Pech kann man mit einem Hammer in Stücke schlagen, und hätte man einen Pechklumpen in der Hand, so dächte man nie im Leben an eine Flüssigkeit. Dass Pech durchaus fließt, wollte der australische Physiker Thomas Parnell 1927mit einem Experiment an der Universität Queensland anschaulich machen. Er goss heißes Pech in einen Glastrichter, dessen untere Öffnung versiegelt war. Nach drei Jahren Abkühlzeit entfernte er den Stopfen, das Pech konnte in einen Behälter abfließen. Und das tat es: AchtJahre später fiel der erste Tropfen. Noch bevor im Jahr 1947in Australien der zweite Tropfen fallen konnte, baute ein Angestellter der Universität Dublin in Irland eine Kopie des Experiments auf. Dieser zweite Aufbau geriet zunächst in

Vergessenheit, bevor nur ein Tropfen gefallen war. In Queensland übernahm der Physiker John Mainstone Anfangder 1960er-Jahre die Aufsichtüber das Original. Bis zu seinem Tod erfüllte er diese Rolle Er führte gewissenhaft Protokoll, erklärund Gästen den berühmten Versuch, gab unzählige Interviews und wurde zum Gesicht des Expe riments.

EINEBEISPIELLOSE PECHSTRÄHNE Bis in die 1970er-Jahre war es niemandem gelunTropfenfallen zu sehen. Im Frühling 1979 wusste Mainstone, dass der sechste Tropfen fällig war, und überprüfte das Experiment deshalb regelmäßig. Eines Montags jedoch kam er zur Arbeit und musste feststellen: Der Tropfen war am Wochenende gefallen. Alsim Jahr 1988eine Weltausstellungganz in der Nähe der Universität stattfand, wurde auch dort das Pechtropfen-Experiment gezeigt. Der siebte Tropfen stand an. Mainstone war vor Ort, doch seine Pechsträhne riss nicht ab. Alsder siebte Tropfen fiel, holte er sich gerade einen Tee. Immerhin lagen nun genügend Daten vor, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen. Verschiedene Modellefür das Verhalten von Flüssigkeiten lassen sich an Pech viel besser überprüfen als mit millionenfach flüssigeren Substanzen wie Honig oder Öl. Auch Rückschlüsse auf das Verhalten von Gletschern oder Glas lassen sich so ziehen. Für den achten Tropfen wollte John Mainstone nichts dem Zufall überlassen. Er installierte eine

ILLUSTRATION: ANJASTIEHLER/JUTTA FRICKEILLUSTRATORS; FOTOS:SHUTTERSTOCK, UNIVERSITY OF QUEENSLAND (2)

Pech fließt, auch wenn es kalt ist – aber sehr, sehr langsam. Seit vielen Jahrzehnten wirddieser Vorgang in zwei Experimenten untersucht. Ein Wissenschaftler verpasste immer wieder den entscheidenden Moment

Nach 52 Jahren zog man an der aus tralischen Universität von Queensland eine Zwischenbilanz des Experiments: Immerhin sechs Tropfen Pech waren damals schon gefallen.

Webcam–diese Technikhatte es beim siebten Tropfen noch gar nicht gegeben. AmStandort des Experiments war allerdings inzwischen eine Klimaanlage eingebaut worden. Dieniedrigeren Temperaturen machten das Pech noch zähflüssiger. So dauerte es diesmal nicht neun, sondern ganze 13 Jahre, ehe schließlich im November achte Tropfen fiel. Mainstone war zu jenem Zeitpunkt verreist – und die Webcamnatürlich gerade ausgefallen.

ZWEITROPFENIN ZWEIJAHREN! Die Aufmerksamkeit, die das Pechtropfen-Experiment mit dem dramatischen Fehlschlag im bekam, rief Kollegenaus Europa auf den Plan. Das Exemplar aus Dublin wurde entstaubt und ebenfalls unter digitale Überwachung gestellt. Die Forscher wussten: Beide Experimente ließen ungefähr im Jahr 2013 den nächsten Tropfen erwarten, und es würden die ersten sein, die jemals von Menschen beobachtet würden. Eine kleine Fangemeinde bildete sich um die Internet-Übertragungen. Nach gut 80 Jahren war es praktisch ein Fotofinish: Pechvogel: Physiker John Mainstone

Der Tropfen in Irland fiel im Juli 2013vor laufenden Webcams, während der in Australien im April 2014 aufgezeichnet wurde. John Mainstone hat ihn aber leider nicht mehr erlebt: Nach52 Jahren als Wächter des Experiments war er wenige Monate zuvor verstorben. Die gefilmten Tropfen lieferten ganz neue physikalische Daten, auch kulturell war die Messung etwas Besonderes: Die langjährigen Experimente schlugen mit ihrer wunderbaren Langsamkeit unerwartete Wellen im schnelllebigen, weltweiten Netz –bargen sie doch auch die rührende Geschichte des sympathischen Pechvogels John Mainstone. Und jetzt? Nun, wenn Ihnen nach Entschleunigung ist, schalten Sie doch Ihren Rechner ein und schauen Sie im Livestream dem Pech beim Fließen zu. Stellen Sie am besten einen zweiten Monitor daneben: Um das Jahr 2025 herum dürfte sowohl in Irland als auch in Australien der nächste Tropfen fallen.

Der Physiker und sein Buch MichaelBüker,30, ist Astroteilchenphysiker und arbeitete für das Forschungszentrum DESYin Hamburg. In »Science Slams« präsentiert er Physik humorvoll, in seinem Buch »Ich war noch niemals auf Saturn« geht er auf eine rasante Wissenschaftsreise durchs All.Für P.M.erklärt er die wichtigsten Experimente der Physikgeschichte.

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RÄTSEL

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WAAGERECHT 1 »…Baby …!«,sang Champion Jack Dupree 19576 »La …«:Sie wurde noch früher (und später noch oft) besungen 12 fahrtsziel für die Anhänger von 22 waagerecht 17 lat.: Vaterland 18 Geliebte Simsons (A.T.)19 Lachsfisch 20 Ritter der Artus Sage 21 Würden Sie das Lösungswort gern … fahren? 22 eine Weltreligion 23 Frisiergerät 24 lat.: der , dasselbe 25 Staat in Vorderasien 26 landschaftl.: Biene 27 dringend 29 chines. Währungseinheit 30 Papierfaltkunst 33 Jeder Leistungssportler wäre gern einer 36 Training, Arbeit, Übung, Lernen – all das kann sich …39 MEEBOA 42 Europ. Währungsunion (Abk.)43 Abk.:Lichtschutzfaktor 44 So kann man das Monowheel in diesem Heft nennen 45 Diese Hauptstadt hat die Postleitzahl 1100– in Mosambik! 46 weißer Stirnfleck bei Tieren 47 Dienst im Internet mit Newsgroups 50 Ihr Nest ist kugelförmig 53 Die … von E. L. James haben Millionen (Frauen) erreicht 56 schattenseite 57 bibl.Priester 59 TONNEK 61 KITTOR 63 Abk.: angeblich 64 Volk in Südost nigeria 65 Wirkung, Erfolg 67 seufzender Chef: »Alles muss man …machen!« 68 Frie denslehre 70 Er will,dass sein Anwalt ihm hilft 73 Ihn zu spüren kann schmerzhaft und tödlich sein 78 Seemannsruf 80 anhänglich 82 chem. Element, Halbmetall 84 veraltet: Schwiegersohn 86 seidiges Gewebe 88 Musikhalle89 nicht außen 90 »Evi, du bist ja ein …deiner Mutter!« 91 Turngerät 92 griech. Vorsilbe: Luft 93 Ballspiel zu Pferd 94 musikal. Bühnenwerk 95 Ehemann der Tante 96 ethnische Gruppe indischer Herkunft 97 Jachthafen

SENKRECHT 1 Einer allein nützt dem Sprinter nichts 2 Inselstaat der USA 3 Lebenshauch 4 spannender Film (Kw.)5 mehrere 6 Ko name von Patrick 7 Abschiedsgruß 8 Graf in der Oper »Don Carlos« 9 ungereinigte Ölsäure 10 Utensil für Moderatoren und Ansager (Abk.)11Teilder Kirche12Er verbindet Frankfurt und Würzburg13 flüssige Speisewürze 14 ungar. komponist († 1953) 15 steif vor Kälte 16 Nährmutter 28 Währung in Sierra Leone 31 Staat der USA32 Mitteilung (Abk.) 33 BEELAS34 Getreideart 35 Wer sie hält, braucht manchmal ein 10 senkrecht 36 röm. Totengeist 37 Sie erschreckt Fußgänger 38 ein Balte 40 amerik. Swingmusiker (Glenn, † 1944) 41 Cousine 43 röm. Mondgöttin 48 Sie spendet Leben und kann tödlich sein (siehe Bericht) 49 Stimmlage 51 »Kinder, Hände waschen! Aber mit …!« 52 Ausflug zu Pferd 54 Held in »Das Dschungelbuch« 55 in der Nähe von, seitlich 58 nord. Gott des Feuers 59 Begriffbei der Autoversicherung (ugs.) 60 Fluss durch Rom 61 masse 62 engl. Grafschaft 66 Der Historiker Christoph Kampmann ist Experte für den Westfälischen …(siehe Interview) 69 KAISER71 So nennen Portugiesen ihre Hauptstadt 72 In dieser sibirischen Landschaft soll ein »Pleistozän Park« entstehen 74 schmutzige Stelle 75 Dieses Rätsel ist nicht zu schwer, oder? …Sie es ja bald geschafft haben 76 frz. Form von Heinrich 77 frz. weibl. Vorname 78 Eingeweihter 79 Hauptstadt in Südostasien 80 Berg in Galiläa 81 hasten 82 span.: Stier 83 Dach , Kellerfenster 85 obere Abteilung des Juras 87 Indianerzelt

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Auf der Doppelseite, die in diesem Heft den vergrößerten Bildausschnitt oben zeigt, befindet sich das Lösungswort (irgendwo im Text). 76

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Lösungswort: SOFORTGEWINN BEI ANRUF!

Ein Samsung Galaxy Tablet zu gewinnen!*

Bei diesem Rätsel geht es nicht nur um nitionen und ihre Auslegung. Einigeder gesuchten Wör ter stehen schon fertig da – allerdings als »Buchsta bensalat«, der entwirrt werden muss (NERG= GERN, ABST= BASToder STAB).DieBuchstaben in den blauen Feldern ergeben das Lösungswort. Die Gewinner wer den schriftlich benachrichtigt und im übernächsten Heft mit Namen und Wohnort genannt. Teilnahme Möglich keiten: 1. kostenlose Hotline: 0800/91 911 99 (jeder Anrufer erhält eine Überraschung ); nur innerhalb Deutschlands: Mo. Fr. 9.00 20.00 Uhr,Sa. 10.00 15.00 Uhr. 2. online: www.pm magazin.de/gewinnspiele – Teilnahmeschluss ist der 9. 5. 2017. *Teilnehmen kann jeder, der seine Daten eigenständig übermittelt u. sich bei Online Teilnahme damit einverstanden erklärt, interes sante Angebote von P.M.und dem Verlag Gruner+Jahr zu erhalten. Die Nutzung der Daten kann natürlich jederzeit widerrufen werden. Die telefonische Teilnahme ist nur aus Deutschland möglich. Die Teilnahme ist nur einmal möglich. Mitarbeiter der Gewinnsponso ren und des Verlags G+Jsowie deren Angehörige dürfen nicht teil nehmen. Der Gewinner oder die Gewinnerinwird gelost. Eine Bar auszahlung des Gewinns oder eine Übertragung des Gewinns auf einen Dritten ist ausgeschlossen. Der Rechtsweg ist ausgeschlos sen. Es gilt deutsches Recht. EineVerwendung Ihrer Daten für Wer bezwecke findet nur mit Ihrer Einwilligungstatt.

LÖSUNGDES RÄTSELS AUS HEFT04/2017 U N R U H E S

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GEWINNERDES KREUZWORTRÄTSELS AUS P.M. 03/2017 Das Lösungswort hieß »Schubkraft«; der Bildausschnitt war auf Seite 12. Das Tablet hat gewonnen: Rolf Tumat aus Riegelsberg.

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Dies ist ein Angebot der Gruner + Jahr GmbH& Co KG,Am Baumwall 11,20459 Hamburg. Belieferung, Betreuung und Inkasso erfolgen durch DPVDeutscher Pressevertrieb GmbH, Nils Oberschelp (Vorsitz),Christina Dohmann, Dr. Michael Rathje, Am Sandtorkai 74, 20457 Hamburg, als leistenden Unternehmer.

TITELGESCHICHTE

Drohnen-Welt Die Eismenschen KRYONIKDem Todein Schnippchen schlagen? Manche versuchen das mit Kälte-Technik. Sie glauben: Wernach dem Sterben fachgerecht tiefgefroren wird, kann Jahrhunderte später mithilfe fortgeschrittener Medizin auferweckt werden. Ein Besuch bei den Pionieren einer seltsamen Wissenschaft.

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TECHNIKFerngesteuerte Flugobjekte sind wahre Multitalente: Sie werfen Bomben, können aber auch Rehkitze retten, Umweltdaten sammeln oder Bratwürste ausliefern. Und natürlich spionieren! WelcheVisionen sind realistisch? Und: Wiewird man unliebsame Drohnen wieder los?

FOTOS:ALAMY,SCIENCEPHOTOLIBRARY, GETTYIMAGES(2), NASA

P.M. IMJUNI

IMPRESSUM

GRUNER+ JAHRGMBH& CO KG

POSTANSCHRIFT FÜRVERLAGUNDREDAKTION Am Baumwall 11,20459 Hamburg Telefon: 040/3703-0, Fax: 040/3703-6000

Wettervorhersage 2.0 METEOROLOGIE Windräder und Barometer? Schnee von gestern! Mit modernster Technologierücken Forscher heute der Frage nach dem Wetter von morgen zu Leibe. Laserpulse, die Wolkentröpfchen vermessen. TennisplatzgroßeRadarsysteme zur Analysedes Windes. Das Arsenal der Wetterwissenschaftler ist ein HightechPark geworden. Aber werden sie damit endlich sagen können, ob es Sonntag regnet?

Chefredakteur: Florian Gless (V.i.S.d.P.) Stellvertretender Chefredakteur: Jens Schröder Creative Director: Andreas Pufal Art Director: Arne Kluge Geschäftsführende Redakteurin/CvD: Bettina Daniel Textchef: Stephan Draf Redaktion: Martin Tzschaschel (leitend), Nora Saager, Thomas Röbke Grafik: Anja Klingebiel,Nele Wiewelhove Bildredaktion: Simone Thürnau, Carina Weirauch Assistenz: Gunhild Lübeck Publisher: Dr. Gerd Brüne Publishing Manager: Eva Zaher Vertrieb: DPVDeutscher Pressevertrieb Director Distribution & Sales: Torsten Koopmann Executive Director Direct Sales: Heiko Hager Director Brand Solutions: Daniela Krebs Verantwortlich für den Anzeigenteil: Daniela Krebs, G+JMedia Sales, Am Baumwall 11,20459 Hamburg Sales Manager: Max Schulz Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Christine Haller Marketing Director: Sandra Meyer Es gilt die gültige Preisliste. Informationen hierzu unter www.gujmedia.de Bankverbindung: Deutsche Bank AG,Hamburg, IBAN:DE30 2007 0000 0032 2800 00, BIC:DEUTDEHH

Saubere Sache! CHEMIEKlappe auf, Wäsche rein. Ein simpler Aktdes Alltags. Wer weiß schon, dass in der Trommel ein chemischer Krieg tobt: Der Kampf der Wasch-Enzymegegen die verschmutzenden Polymere! Wer behält die Oberhand am Oberhemd? Eine Forschungsfrage.

Spion des Lichts KOSMOLOGIEDas James-Webb-Weltraumteleskopist das teuerste Messgerät, das Menschen jemals gebaut haben. Im Jahr 2018soll es ins Allaufbrechen. Es wird dort uraltes Sternenlicht einfangen und zurückblicken bis in die Zeit kurz nach dem Urknall. Kann es Fragen nach dem Ursprung allen Seins neu beantworten?

Das nächste

erscheint am 12.5. 2017

Für unverlangte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen. Bei Leserbriefen behält sich die Redaktion das Recht auf Kürzungen vor. Die Redaktion ist nicht für den Inhalt im Heft veröffentlichter Internet-Adressen verantwortlich. © 2017 für alle Beiträge bei Gruner + Jahr GmbH & Co KG. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Aufnahme in Online- Dienste und Internet und Vervielfältigung auf Datenträger wie CD-ROM,DVD-ROMetc. nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Verlages. Herstellung: G+J-Herstellung, Heiko Belitz (Ltg.), Sören Hohmann Druck: Prinovis GmbH & Co. KG,Betrieb Ahrensburg, Alter Postweg 6, 22926 Ahrensburg Repro: 4mat media, Brook 1,20457 Hamburg. Printed in Germany Tarifanforderungen Anzeigen G+JElectronic Media Sales GmbH, Am Baumwall 11, 20459 Hamburg Der Export der Zeitschrift P.M.und ihr Vertrieb im Ausland sind nur mit Genehmigung des Verlages statthaft. Bestellung von P.M.-Produkten P.M.-Kundenservice, 74569 Blaufelden Tel.: 040/42236427, Fax: 040/42236663, E-Mail: [email protected] Abo-Service Wenn Sie Fragen zu Ihrem Abonnement haben: Tel.: +49 (0) 40 5555 8980 Contentvermarktung Syndication: Picture Press, E-Mail:[email protected] Sonderdrucke: Koordination: Petra Martens, Anfragen: Isabella Kamauf Tel.:040/3703-2590, E-Mail:[email protected] ISSN-Nr.: 1863-9313 Anmerkung zu den Bildnachweisen: Wir haben uns bemüht, sämtliche Inhaber der Bildrechte zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegenüber dennoch nachgewiesen werden, dass eine Rechtsinhaberschaft besteht, entrichten wir das branchenübliche Honorar nachträglich.

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S TIERLEBENFOLGE30

DER NASENBÄR (LAT.NASUA) »Coati« – Gürtelnase – nennen die Ureinwohner Südamerikas diesen Verwandten des Waschbären. Rollt er sich zum Schlafen zusammen, sieht es aus, als würde er die Schnauze unter einen imaginären Hosenbund stecken TEXT:ANTONKRUMMREY UNDNORASAAGER

AUSGEKOCHT Als Allesfresser knuspert der Coati sogar Taranteln. Um vor dem Fressen die Haare zu entfernen, rollt er sie auf dem Boden hin und her.

FOTO:KEVINSCHAFER/NATURE PHOTOLIBRARY

AUSGESCHNÜFFELT Seinen chen Riecher kann der Nasenbär um bis zu 60 Grad in jede Richtung drehen. Er stöbert damit am und im Boden nach Genießbarem.

AUSGESCHLOSSEN Die Weibchen leben in Rudeln. Männchen dürfen sich nur zwecks Arterhaltung gesellen. Ist die rungszeit vorbei, den sie wegge ekelt.

AUSBALANCIERT Der Nasenbär ist ein Kletterprofi. An dicken Stämmen spaziert er einfach kopfüber hinunter; dabei helfen ihm seine äußerst len Fußgelenke.

AUSLADEND Der Schwanz ist so lang wie der Körper und ragt meist steil empor. Er hilft den Tieren, beim Klettern das Gleichgewicht zu halten und in hohem Gras die ten nicht aus den Augen zu verlieren.

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P.M. Magazin 2017-05

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